Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
fragte Dr. Botkin ungewohnt kalt.
»Ich kenne die Stimmen, die die Mama Russlands für eine Spionin halten. Aber sie liebt das russische Volk und will nur sein Bestes.«
»Davon sprach ich nicht und das wissen Sie auch.« Beherrscht ergriff Dr. Botkin Ankis Arm und verließ mit ihr das Palais.
Ein kühler Windstoß schlug ihnen entgegen. Trotz der vorgerückten Stunde war die Nacht noch nicht vollständig hereingebrochen. Einige feuerrote Streifen zogen sich über den tiefdunklen Himmel, als versuchten sie, sich gegen das Schwarz zur Wehr zu setzen. Nicht anders fühlte Anki sich nach ihrer erneuten Begegnung mit dem Starez. Wieder war er völlig überraschend in ihr Leben getreten und wie die Male zuvor spürte sie, dass er seine unheimlichen Fäden um sie spann.
»Ich geleite Sie besser bis zu Ihrer Kutsche«, sagte Dr. Botkin und bot ihr an der Treppe seinen Arm.
»Ich bin mit Ljudmila Sergejewna Zoraw angereist, Eure Exzellenz. Die Equipage der Zoraws steht gleich hier drüben, vor dem ersten Kanal.«
»Ach natürlich, wie sonst hätten Sie Einlass gefunden!«
»Ich bin Komtess Ljudmila Sergejewna für ihre Unterstützung in dieser Sache sehr dankbar!«
»Die Komtess wird froh sein, Ihnen einmal etwas von dem zurückgeben zu können, was Sie alles für sie getan haben«, meinte der Arzt und hob den Arm, damit der Kutscher für Anki die Tür öffnete. Diese drehte sich nochmals zu Dr. Botkin um.
»Und ich weiß nicht, wie ich Ihnen jemals danken kann.«
»Robert Busch ist ein hervorragender Arzt. Wir könnten ihn in Petrograd gut gebrauchen. Aber bitte vergessen Sie bei aller Zuversicht nicht, dass es Wochen dauern kann, bis wir etwas von seinem Verbleib hören.«
»Ich nehme es mir zu Herzen«, erwiderte Anki tonlos und dachte dabei an ihr unerfreuliches Zusammentreffen mit Rasputin. Ob der Mann die Macht besaß, ihr Anliegen zu durchkreuzen und Robert gar für immer irgendwo in der sibirischen Unendlichkeit verschwinden zu lassen?
»Verlieren Sie die Hoffnung nicht«, sagte Dr. Botkin, bevor er hinter ihr die Kutschentür schloss.
»Danke«, murmelte Anki und lehnte sich an das harte Polster zurück. Erst jetzt gelang es ihr, die Angst abzuschütteln, die sich beim unerwarteten Auftauchen des Starez wie ein bleischwerer Umhang auf sie gelegt hatte.
Die Minuten schlichen dahin, in denen sie für Roberts Sicherheit betete, ehe sich bedächtige, leichte Schritte dem Gefährt näherten. Anki beugte sich nach vorn, um am Vorhangstoff vorbei auf den Platz vor dem Alexanderpalast zu blicken, und sah Ljudmila. Da trat überraschend hinter der Kutsche eine Gestalt hervor und stellte sich ihrer Freundin in den Weg. Sofort erkannte Anki Rasputin!
Ljudmila stieß einen entsetzten Schrei aus, blieb jedoch wie angewurzelt stehen und betrachtete ihren Peiniger mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu.
»Süße Ludatschka! Ich vermisse die Gespräche mit dir und deine Nähe. Und ich sehe deutlich, wie das Dunkle, Böse von dir Besitz ergreifen will. Diese Fremde bringt es über dich. Löse dich von den Banden, die dich bei ihr halten, und komm mit mir.«
Ljudmila brachte keinen Ton über ihre Lippen. Reglos stand sie da, umgeben von der nun schnell hereinbrechenden Dunkelheit.
»Komm, Ludatschka, sei wieder meine Freundin«, lockte der Starez.
Anki musste entsetzt mit ansehen, wie die Komtess einen Schritt auf Rasputin zuging, dann einen zweiten. Der Russe hatte Anki den Rücken zugewandt, doch es brauchte nicht viel Fantasie, um sich sein triumphierendes Lächeln, seine brennenden Augen vorzustellen. Von dem wilden Wunsch gepackt, Ljudmila vor ihm zu beschützen, rutschte Anki nach vorn, drückte die Kutschentür auf und trat auf den noch ausgeklappten Tritt.
Rasputin wirbelte herum, sodass seine zottigen Haarsträhnen für einen Sekundenbruchteil nach allen Seiten abstanden und ihm ein dämonisches Aussehen verliehen. Aber Anki ließ sich davon nicht schrecken. Er war nur ein Mensch. Ein Mann, der auf eigentümliche Weise Macht über andere erlangte, jedoch nur dann, wenn man sie ihm gewährte. Es kam einem inneren Kampf gleich, sich seinem Einfluss zu entziehen, doch Anki wusste, sie konnte ihn gewinnen! Immerhin hatte sie schon einmal den Sieg gegen ihn davongetragen. In Gedanken formulierte sie einen Hilfeschrei zu Gott.
In diesem Moment hob Rasputin langsam, fast bedrohlich seinen rechten Arm und deutete mit dem Zeigefinger auf ihr pochendes Herz. »Ich habe dich nie gekannt! Fort mit dir. Was
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