Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
vorfand. Frau Pfister stand vor einer Butzenglasscheibe und die Sonne malte gelbe und blaue Farben auf ihr tränenüberströmtes Gesicht.
»Mein Beileid, Frau Pfister. Margarete ist ganz aufgelöst. Kann ich irgendetwas tun?«
»Danke, Fräulein Lina. Wir stehen alle unter Schock. Klaus war ein so guter Mann. Er war einfach perfekt für unsere Margarete. Sein Verlust ist schrecklich. Haben Sie bitte ein wenig Geduld mit ihr.« Sie lehnte die Stirn gegen einen blauen Kreis auf dem farbigen Fenster und schien Lina komplett zu vergessen.
Margarete hielt sich nicht mehr im Esszimmer auf, und Lina spürte einen Anflug von Erleichterung. Es fiel ihr unsagbar schwer, die richtigen Worte für die leidende Freundin zu finden. Noch nie zuvor, zumindest seit dem frühen Tod ihrer Mutter, hatten sie und Margarete in ihrem wohlbehüteten Leben derart Schreckliches durchmachen müssen.
Unschlüssig, was sie tun sollte, schaute sie sich in dem verlassenen Raum mit seiner weißen Stuckdecke um. Lina seufzte leise. Heute war ihr Hochzeitstag. Im Grunde wollte sie jubeln und feiern und ein paar wunderbare Stunden mit Anton verbringen. Doch nun war jegliches Hochgefühl in ihr verflogen, entschwunden wie die Zugvögel im Herbst, und hatte dunkler Traurigkeit Platz gemacht.
Antons besorgter Blick löste die Tränen in ihr. Sie ließ sich in seine Arme fallen und weinte um den Verlust eines Freundes und über den Schmerz, den ihre Freundin nun aushalten musste. Die düstere Ahnung, dass es nicht bei diesem einen Todesfall innerhalb ihres Verwandten- und Bekanntenkreises bleiben würde, ließ sie erzittern.
Kapitel 8
Straßburg, Deutsches Reich,
August 1914
Philippes Augenbrauen hoben sich, als das Militärautomobil auffällig sachte vor dem Flugzeughangar abbremste. Am Steuer saß Demy, und Bruno, der mit weit geöffnetem Mund schlief, hing auf dem Beifahrersitz. Die restlichen Männer saßen zusammengequetscht im hinteren Teil des Fahrzeugs und wirkten entweder apathisch oder grölten aus vollem Halse unanständige Lieder.
Der Pilot musterte die Meute und baute sich neben der Fahrertür auf. Fragend sah er auf Demy hinunter. Sie hob den Blick, und ihr Lächeln spiegelte eine Mischung aus Erheiterung und einem schlechten Gewissen. »Glauben Sie mir: Ich konnte sie nicht davon abhalten. Ich traf im Restaurant ein niederländisches Paar und unterhielt mich mit ihnen. Diese Zeit haben die Männer genutzt, um reichlich Alkohol zu konsumieren.«
Philippe unterdrückte ein Lachen. Waren seine Kameraden so enttäuscht darüber gewesen, dass Demy ihre Aufmerksamkeit ihren Landsleuten schenkte statt ihnen, den begehrenswerten, tollkühnen Fliegern, dass sie ihren Kummer in Hochprozentigem ertränkten?
»Besitzen Sie denn einen Führerschein?« Philippe öffnete ihr die Tür, und ihr Lächeln erstarb. Stumm schüttelte sie den Kopf. »Hannes?«, forschte er nach und ihr Nicken bestätigte ihm, dass sein Freund, der mittlere der drei Meindorff-Söhne, Demy das Fahren beigebracht hatte. »Das Flugzeug ist startklar. Sehen wir zu, dass wir wegkommen, bevor dieser Wagen voll betrunkener Piloten von einem Vorgesetzten entdeckt wird.«
Demy beeilte sich mit dem Aussteigen, drehte sich noch mal dem Wagen zu und holte von ihrem Sitz ein paar warme Lederhandschuhe, dazu den Schal von Ernst und die Fliegerjacke von Bruno.
»Wollen Sie die Burschen, die Ihretwegen gewaltigen Ärger und einen noch größeren Kater bekommen werden, auch noch bestehlen?«
Entrüstet richtete sie sich auf, behielt ihre Beute jedoch fest in den Händen. »Diese Sachen habe ich gewonnen .«
»Gewonnen? Wobei?«
Offenbar kein bisschen eingeschüchtert von seinem harschen Tonfall drehte Demy sich um und ging auf das Flugzeug zu. Das Lächeln auf ihrem Gesicht war ihm dennoch nicht entgangen.
»Das wollen Sie gar nicht wissen!«, rief sie ihm über die Schulter hinweg keck zu.
Um sein belustigtes Schmunzeln zu verstecken, strich er sich mit der Hand über sein frisch rasiertes Gesicht. Dieses Mädchen war noch immer so ungewöhnlich wie vor sechs Jahren, wenn auch inzwischen weitaus erwachsener … und attraktiver.
Bei Philippes Eigenbau angekommen hüllte sie sich in Brunos Felljacke, schlang sich den Schal von Ernst fest um den schlanken Hals und zog Flugmütze und -brille auf, ehe sie zuletzt die dicken Handschuhe überstreifte, deren vorheriger Besitzer sie bald schon schmerzlich vermissen würde. So vermummt nahm sie ihren Platz am Propeller ein.
Nachdem er
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