Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
stell dir vor«, plauderte Lina los und ging vor der Gleichaltrigen in die Hocke. Aufgewühlt ergriff sie Margaretes Hände, die sich trotz der Sommerhitze draußen erstaunlich kalt anfühlten. »Anton und ich sind verheiratet! Ist das nicht wunderbar? Papa war überaus begeistert, als wir ihm von unseren Plänen erzählten. Er hält so viel von Anton und …«
Als Anton seine Hand schwer auf Linas Schulter legte, hielt sie inne. Irritiert sah sie zu ihm auf. Mit dem Kinn wies er auf Margarete, drehte sich um und verließ den Raum.
Lina senkte den Kopf und sah Tränen über das ebenmäßige Gesicht ihrer Freundin rollen. Erschrocken erhob sie sich, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich nahe neben Margarete. Wieder ergriff sie deren kalte, nun heftig zitternde Hände. »Margarete! Was ist denn mit dir?«
»Klaus ist tot!«, stieß die junge Frau hervor.
Entsetzt riss Lina die Augen auf. Unmöglich! , schoss es ihr durch den Kopf. Der Krieg stand doch erst an seinem Beginn. Für einen Moment schloss Lina die Augen und rief sich die Geschehnisse der letzten Tage in Erinnerung: Belgien war ein neutrales Land, und auch die Deutschen hatte dies durch eine Unterschrift auf der Neutralitätsurkunde im Jahr 1839 bestätigt. Dennoch hatte das Deutsche Reich Belgien vor drei Tagen den Krieg erklärt und jetzt wälzten sich ihre Truppen – höchst unwillkommen – durch den kleinen Staat.
»Irgendwo zwischen Namur und Löwen«, flüsterte Margarete. Die Ortsnamen sagten Lina nichts. Diese schreckliche Nachricht kam so unerwartet. Sie erschien ihr unwirklich. Plötzlich war dieser Krieg nicht mehr weit entfernt im Westen, sondern hier bei ihr.
Margaretes Augen waren unnatürlich weit aufgerissen. Ihr Gesicht wirkte seltsam unbeweglich und fremd auf Lina, und noch immer rollten Tränen über ihre blassen Wangen. »Klaudia war hier.« Ein Schluchzen hinderte Margarete am Weitersprechen, doch Lina ahnte, dass Klaudia Groß, die Schwester von Margaretes Ehemann Klaus, die schreckliche Nachricht überbracht hatte.
»Ach, Margarete«, seufzte Lina hilflos. Sie nahm die Freundin in ihre Arme. Sie verspürte eine eigenartige Leere in sich, war gefangen zwischen der eben noch empfundenen Freude und dem Leid, das ihre langjährige Vertraute getroffen hatte. Was würde aus ihnen werden, wenn der Krieg, dieses grausige Monster, bereits in den ersten Tagen herzensgute, wunderbare Männer wie Klaus verschlang?
»Ich möchte auch sterben«, flüsterte Margarete ihr zu.
»Das ist jetzt aber Unsinn!« Lina schrak auf, ergriff die Freundin an den Schultern und schaute sie eindringlich an. »So etwas will ich nicht hören! Ich ahne, wie furchtbar der Tod von Klaus für dich ist. Aber dein Leben ist nicht vorbei, Margarete. Du wirst von deiner Familie geliebt und gebraucht. Auch Demy und ich lieben und brauchen dich. Also bitte denk nicht an so etwas!«
»Du hast gut reden!«, begehrte Margarete ungewohnt laut auf. »Du hast deinen Anton ja noch bei dir. Du verstehst mich überhaupt nicht!« Margaretes sonst so sanfte Stimme war schrill, gleichzeitig rückte sie von Lina ab.
»Du weißt doch, dass ich vor einigen Jahren meine Mutter verloren habe. Mir ist durchaus bewusst, was so ein schmerzlicher Verlust für einen Menschen bedeutet.«
Lina hielt es für angemessen, das Thema nicht zu vertiefen. In ihrem inneren Chaos aus dem eben noch empfundenen Hochgefühl und dem jetzigen Schmerz, der sie wie ein Schlag in den Magen getroffen hatte, wusste sie einfach nicht das Richtige zu sagen. Sie hatte sich selten so hilflos gefühlt wie beim Anblick ihrer leidenden Freundin, und diese wusste mit ihrem hilflos hervorgebrachten Gestammel nichts anzufangen. Zu tief versank sie in ihrem Schmerz. Sie hatte Klaus geliebt. Seit die beiden vor einem Jahr den Bund der Ehe eingegangen waren, waren sie eine perfekte Einheit gewesen; voll Zuneigung, Aufmerksamkeit und Fürsorge, dabei großherzig anderen Menschen gegenüber und unerschütterlich treu.
»Margarete, es tut mir unendlich leid. Kann ich etwas für dich tun?«
»Geh einfach! Geh und genieß dein Glück mit Anton«, erwiderte Margarete kalt.
Erschrocken und tief besorgt musterte Lina ihre langjährige Freundin. Diese blickte an ihr vorbei, schien einen Fixpunkt in dem spartanisch eingerichteten Raum anzustarren und wirkte völlig in sich selbst versunken.
Lina erhob sich schwerfällig, ging aber nicht zu Anton in den Flur, sondern ins Wohnzimmer, wo sie Margaretes Mutter weinend
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