Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
einige mit Spitzhacke und Schaufel bewaffnete Einheiten bereits dabei, Schützengräben auszuheben. Zufrieden betrachtete Hannes die Umgebung. Dieser Platz war strategisch geschickt gewählt, um dem nachrückenden Feind einen heißen Empfang zu bereiten. Dank der übersichtlichen, erhöhten Stellung auf dem Hügel würde eine Verteidigung spielend gelingen.
Als letzter seiner Männer erklomm Hannes den Bergrücken, auf dessen Anhöhe ein rotgesichtiger Bubi auf ihn wartete. »Ich kenne mich hier aus, Herr Leutnant«, rief er fast enthusiastisch. »Dieser Hügelkamm nennt sich Chemin des Dames. Sehen Sie, hier führte eine Straße entlang, die Ludwig XV. eigens für seine Töchter anlegen ließ, damit sie mit ihren Kutschen Ausfahrten unternehmen konnten.«
Mit einem Blick über die grüne, hügelige Landschaft, den blauen Flusslauf und die sich der warmen Septembersonne entgegenreckenden Bäume attestierte Hannes dem alten französischen Herrscher einen ausgezeichneten Geschmack. Die Aussicht war grandios. Für einen Moment überfiel ihn das Bild der Sümpfe bei St. Gond an der Marne, das er kurz vor ihrem Rückzug gesehen hatte, wie eine düstere Vision: aufgewühlte und von Kratern zerfressene nackte Erde, auf der kein Grashalm mehr wuchs; Bäume, von denen lediglich die Stümpfe übrig waren, und dazwischen ein Teppich aus Soldatenleichen. Ob diese wunderschöne Landschaft an der Aisne ebenso trostlos und verödet aussehen würde, wenn die Armeen ihr wieder den Rücken kehrten?
Noch während er bekümmert dieser Überlegung nachhing, sah er Theodor auf sich zukommen. Sein Freund aus Kadettentagen führte einen kräftig gebauten Braunen am Zügel und betrachtete ebenfalls den Flusslauf im Tal. Ob er ihn aufgrund seiner Schönheit bewunderte, oder sah auch er nur die strategischen Vorzüge, die diese Gegend hergab?
»Bubi?«, sprach Hannes den Jüngsten seiner Einheit an.
»Herr Leutnant?«
»Es ist gut zu wissen, dass du dich hier auskennst. Das könnte von Vorteil sein. Für heute hilfst du dem Feldwebel, eine akzeptable Unterkunft zu finden!«
»Jawohl, Herr Leutnant!«
Hannes blieb zurück und begrüßte einen Augenblick später den Hauptmann. Dieser blickte dem Zug nach und meinte: »Du hast sie gut im Griff.«
»Es sind tolle Kerle.«
»Vielleicht, weil sie einem Führer unterstehen, der ein toller Kerl ist und dem sie vertrauen.«
»Ich hoffe es, Theodor, denn ich plane, diesen Krieg mit möglichst geringen Verlusten zu überstehen.«
Theodor schenkte ihm ein Lächeln und wandte sich dem vor ihnen liegenden Tal zu. »Die Entente-Truppen 19 sind laut einem Aufklärungsflieger noch weit entfernt. Sie haben nicht mit einem Rückzug unsererseits gerechnet.«
»Dann hätten wir ihn nur antäuschen sollen?«
»Der offene Keil zwischen Bülows und Klucks Armee betrug zwischen dreißig und vierzig Kilometer und die Entente stieß bereits in diese Lücke vor. Wir durften nicht riskieren, dass sie uns aufspalten und umfassen.«
Hannes warf seinem Freund einen fragenden Blick zu. Aus seinen Worten glaubte er Unwillen herauszuhören. Hätte Theodor anders gehandelt? Womöglich – immerhin war er ein gescheiter Kopf und hatte die Akademie mit Auszeichnung abgeschlossen. Andererseits konnte auch er nichts gegen den fehlenden Nachschub und die zeitraubenden Wege zwischen der Obersten Heeresleitung und den Befehlsempfängern ausrichten. Offenbar hatte niemand damit gerechnet, dass sie an einem Tag so viel Munition verbrauchen würden wie im gesamten Krieg 1870/71. Die Lage war verfahren und nun versuchte man den Karren aus dem Dreck zu ziehen.
»Hast du in den letzten Tagen Post erhalten?«, wechselte Theodor das Thema und kramte dabei in der Satteltasche seines Pferdes.
»Bei uns kam nichts an. Und ganz ehrlich: Im Moment wäre uns allen eine anständige Mahlzeit lieber!«
Sein Freund nickte ihm ernst zu, suchte weiter und zog endlich eine Ausgabe der Vossischen Zeitung hervor. Er schlug sie auf und reichte sie Hannes. »Eine Verlobungsannonce. Sie interessiert dich bestimmt.«
Neugierig überflog Hannes die aufgeschlagene Seite und fand die Anzeige, die der Adjutant mit einem Bleistift markiert hatte. Seine Augen weiteten sich, als er von der Verlobung von Philippe und Demy las. Sofort sah er das junge rundliche Gesicht der Niederländerin vor sich, ihre blitzenden blauen Augen und das dunkle, widerspenstige Kraushaar. Er hörte ihr vergnügtes Lachen und dabei seine eigenen Worte, die er erst vor
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