Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
geraumer Zeit darauf, dass er sie vor die Tür setzte. Warum er das bisher noch nicht getan hatte, konnte sie nur vermuten. Vielleicht war Tillas Einfluss auf ihren Mann doch größer, als sie dachten.
Hannes rieb sich mit der Hand über sein nachlässig rasiertes Kinn. Hatte sein Vater durch Philippes Rückkehr eine Gelegenheit gewittert, sowohl seinen aufmüpfigen Pflegesohn als auch den ungeliebten Anhang seiner Schwiegertochter in seinem Sinne zu verbandeln? Für ihn bedeutete Philippes Rückkehr nach Berlin die Gefahr von neuen Skandalen, die auf ihn und seine Familie zurückfallen würden. Schlug der Rittmeister mit dieser Verlobung zwei Fliegen mit einer Klappe – wobei er wieder einmal rücksichtslos über die Gefühle und Wünsche der betroffenen Menschen hinwegging?
»Hannes?«
Er hob den Kopf und sah in besorgt dreinblickende, dunkle Augen.
»Das ist alles meine Schuld. Es ist ein paar Monate her, seit ich zuletzt mit meinem Pflegebruder gesprochen habe. Nun fürchte ich, dass sich Demy in keiner besseren Situation befindet als damals. Philippe wird seinen Vorteil daraus ziehen, vielleicht erhofft er sich einen raschen Aufstieg bei Fokker, der ja wie Demy aus den Niederlanden stammt. Vermutlich wird er eines Tages in eine dieser klapprigen Holzkisten steigen und davonfliegen. Demy bietet sich eine solche Möglichkeit der Flucht nicht!« Zornig auf sich selbst, auf Philippe und seinen Vater kickte er einen Stein die Böschung hinunter.
»Du denkst also, diese bezaubernde junge Frau liebt deinen Pflegebruder nicht, sondern wird von deinem Vater verschachert und von Philippe Meindorff schamlos ausgenutzt?«
Hannes sah die Zornesfalten auf der Stirn seines Gesprächspartners. Hegte Theodor mehr als nur Bewunderung für Demy, seit er sie bei Hannes’ und Ediths heimlicher Hochzeit kennengelernt hatte? Die beiden hatten sich damals ausgezeichnet verstanden …
»Natürlich kann ich das nicht mit Gewissheit behaupten, aber eine Liaison zwischen Demy und Philippe ist geradezu undenkbar!«
»Gut!« Theodor stopfte die Vossische Zeitung zurück in die Satteltasche. Schweigend reihten sie sich in die lange Schlange marschierender Soldaten und aufgeprotzter Geschütze ein. Es war alles gesagt.
19 Entente cordiale: Ein ursprünglich zwischen dem Königreich England und Frankreich geschlossenes Abkommen zur Lösung ihres Konfliktes in den Kolonien Afrikas. Sie wurde durch den Beitritt Russlands zur Triple Entente und damit zu einer der kriegsführenden Parteien des Krieges.
Kapitel 22
Petrograd, Russland,
September 1914
Jelena, inzwischen von dem straffen Rucksackverband befreit und nahezu schmerzfrei, schob sich auf den Stuhl vor Ankis Bett. Sie nahm jeden Gegenstand von Ankis Nachttisch, um ihn genauer anzusehen, und ließ dabei ihre Beine baumeln. Anki lächelte. Sie hatte allein an den flinken Bewegungen gehört, welches der drei Mädchen sie heute besuchte. Langsam öffnete sie ihre Augen.
Aufgrund der geschlossenen Fensterläden war ihr sonst so heller, in mintgrün und weiß gehaltener Privatraum in sanftes Licht getaucht. Anki hielt ihr Zimmer gern sparsam möbliert. Sie verzichtete auf Bilder und sonstige dekorative Gegenstände, da sie die mit dunkelblauen Ranken bedruckte mintfarbene Damasttapete und die herrlichen Stuckverzierungen über den Fenstern und entlang der Decke viel zu hübsch fand, um sie zu verdecken.
»War ich nicht schön leise?« Das Kind schaute sie aus strahlenden Augen erwartungsvoll an.
»Du warst wunderbar leise!«, erwiderte Anki und unterdrückte das Verlangen, die Augen wieder zu schließen. Die Schmerzen in ihrem Kopf verschlimmerten sich unangenehm durch Licht, hastige Bewegungen und durchdringende Geräusche.
»An der Tür hat ein Bote Blumen für Sie abgegeben. Es ist ein riesengroßer Strauß!« Anki beobachtete mit halb geöffneten Augen, wie Jelena ihre Arme ausbreitete, um die Größe des Buketts anzudeuten. »Mama sagte, ich muss Sie erst fragen, ob der Strauß überhaupt zu Ihnen ins Zimmer gestellt werden darf. Er duftet herrlich, aber sehr laut.«
Schmunzelnd flüsterte Anki: »Meinst du, er duftet intensiv?«
Das Kind schüttelte so entschieden den Kopf, dass ihre beiden geflochtenen Zöpfe um ihre Schultern wirbelten. »Das Wort ist zu schwach. Sie riechen laut !«, beharrte sie, verbunden mit einem schelmischen Lächeln.
Fürstin Chabenski machte durch ein leises Klopfen an den Türrahmen auf sich aufmerksam, ehe sie den Raum betrat. »Fräulein
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