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Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)

Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)

Titel: Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Büchle
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strich ihr sanft ein paar aus der Frisur gelöste Haarsträhnen aus dem schmal gewordenen Gesicht. Nur ungern erinnerte sie sich an die großflächigen Blutflecke auf Ljudmilas Kleid. Ohnehin war ihr der Besuch bei Rasputin als grauenvoll in Erinnerung geblieben. Wie groß war ihre Erleichterung gewesen, als unverhofft Robert im Schlafzimmer des Starez gestanden hatte!
    Anki hob den Kopf und blickte in Richtung Alexanderpalast, in dem sie den sympathischen Arzt wusste. Sie fühlte in sich eine beinahe schmerzhafte Sehnsucht nach seiner warmen Stimme, nach seinem freundlichen Lächeln und seiner beruhigenden Gegenwart. Seufzend blinzelte sie gegen die Sonnenreflexionen auf der grünen Wasseroberfläche an und versuchte, Robert aus ihrer Gedankenwelt zu vertreiben, was ihr jedoch nicht vollends gelang. Er schien stets präsent zu sein.
    Wie Rasputin bei Ljudmila …? Ein eiskalter Schauer schüttelte Anki. Wie entsetzlich war allein der Gedanke, diesen grässlichen Mann immerzu vor seinem inneren Auge zu sehen, ihn nicht aus dem Gedächtnis verbannen zu können! Ljudmila musste es schrecklich ergehen!
    Erst in diesem Augenblick erfasste Anki den Grund von Ljudmilas Wesensveränderung, als hätten die raschelnden Schilfhalme und die ans Ufer glucksenden Wellen es ihr zugeflüstert. Ihre Zurückgezogenheit, ihre langen Phasen des Grübelns, ihre Schlaflosigkeit und ihre verbalen Angriffe gegenüber den Menschen, die sie eigentlich liebte, waren die Folgen ständiger Angst und Verzweiflung. Ljudmila war die Gefangene einer beängstigenden Horrorvision, in der es ihr nicht gelang, die Wahrheit von verzerrten Trugbildern zu trennen. Und niemand, nicht einmal Anki, konnte in diese dunkle Welt eindringen und ihr helfen, das eine vom anderen zu unterscheiden!
    »Wollen wir nachsehen, wie es Alexej geht?«, sprach Anki Ljudmila nach einer geraumen Zeit des Schweigens an. Vielleicht vermochte die Sorge um den Thronfolger Ljudmila von ihrem eigenen Kummer abzulenken.
    »Der arme Aljoscha!«, murmelte sie prompt und erhob sich. Untergehakt kletterten die Frauen auf den Pfad zurück. Erneut herrschte Schweigen zwischen ihnen, sodass die Geräusche des Parks fast überlaut wirkten. Erst als sie bei der Anlegestelle ankamen, wagte Anki einen neuen Versuch, Ljudmila aus ihren trüben und schmerzlichen Gedanken zu reißen.
    »Was ist das für ein Haus? Nutzen es die Zarenkinder?«
    »Dieser Pavillon beherbergt ein Malzimmer und vier kleine Räume. Sie werden teils von den Kindern, teils von der Zariza genutzt«, erklärte Ljudmila, ohne dem Gebäude, das sich im grünen Wasser des Teiches spiegelte, einen Blick zu gönnen.
    Nachdem sie diesen Teil des Parks durchquert hatten, kehrten die Freundinnen innerlich zutiefst aufgewühlt in das Rote Wohnzimmer zurück.
    Fürstin Chabenski erhob sich, kaum, dass sie die beiden erblickt hatte, und verabschiedete sich höflich von Anastasia, Marija und der Hofdame Wyrubowa. Sie bat Anki kurz, ihre Töchter hinauszubegleiten. Ganz offensichtlich wollte sie den Palast schnellstmöglich verlassen. Beunruhigt über die Eile, die ihre Arbeitgeberin an den Tag legte, sammelte Anki ihre Schützlinge ein und verließ als Letzte den Raum. Sobald sie ins Freie getreten war und die spätnachmittäglichen Sonnenstrahlen angenehm ihr Gesicht streichelten, fühlte sie sich befreiter.
    Auch Fürstin Chabenski atmete hörbar auf und wandte den Blick hinüber zu den Fenstern des linken Wohnflügels. »Sie haben diesem Rasputin telegrafiert und ihn angefleht, aus der Ferne für Alexej Nikolajewitsch zu beten und zu ringen. Er wird dies als eine Einladung verstehen zurückzukehren!«
    Entsetzt sah Anki die Fürstin an. In Petrograd und, wie sie hörte, auch andernorts, brach der Protest gegen den Krieg vehement auf. Der Auftakt der kriegerischen Auseinandersetzungen hätte für Russland kaum desaströser ausfallen können. Teilweise unbewaffnet, da es an Material fehlte, war das gewaltige Heer in Richtung Westen aufgebrochen, nur um bei Tannenberg verheerende Verluste hinnehmen zu müssen. Der leitende General der vernichtend geschlagenen 2. Armee, Samsonow, hatte Selbstmord begangen, 125.000 Russen waren in Gefangenschaft geraten. Vielleicht war es ein Hintergedanke der russischen Elite gewesen, durch den Krieg die Sozialisten kleinzuhalten; ihnen den Wind der Revolution aus den Segeln zu nehmen. Allerdings machte es nicht den Eindruck, dass ihnen dies gelang. Vielmehr erwachte aus der bisher im Untergrund

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