Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)
ausgebeuteten Bevölkerung trennte.
»Wie geht es Ihnen, Fräulein van Campen? Machen Ihnen noch Kopfschmerzen zu schaffen?«
»Kaum noch, vielen Dank der Nachfrage. Nur gelegentlich verspüre ich abends nach einem anstrengenden Tag einen leichten Druck oder ein unangenehmes Pochen in der Stirn.«
»Unterlassen Sie bitte in nächster Zeit wilde Kletterpartien mit Jelena. Ansonsten bin ich mit meiner Patientin sehr zufrieden«, sagte Robert lächelnd, nahm ihre Linke und drückte sie behutsam.
Anki kämpfte darum, sich durch das heiße Kribbeln in ihren Fingern und das aufgeregte Flattern in ihrem Bauch nicht durcheinanderbringen zu lassen. »Ich hatte einen hervorragenden Arzt. Und ich möchte Ihnen noch meinen herzlichen Dank für den wunderschönen Fliederstrauß aussprechen.«
»Er trug zweifellos entscheidend zu Ihrer raschen Genesung bei.« Ihr Gesprächspartner zwinkerte verschwörerisch.
Da seine Berührung sie zutiefst verwirrte, wollte Anki dem Mann ihre Hand entziehen, zumal sich ihnen jemand im Laufschritt näherte. Robert blickte ebenfalls alarmiert über sie hinweg.
»Der Zar«, flüsterte er ihr warnend zu.
Sie sank umgehend in einen Knicks, der dank ihres nassen Rocks reichlich unelegant geriet. Doch Zar Nikolaj schenkte den beiden jungen Leuten ohnehin keine Beachtung. Mit verzerrtem Gesicht eilte er an ihnen vorüber zum Schlafraum seines Sohnes.
Robert behielt Ankis Hand weiterhin in der seinen und stand aufregend dicht vor ihr. Ihr Herzschlag beschleunigte sich.
»Ich muss jetzt zu Alexej Nikolajewitsch. Es ist möglich, dass ich mehrere Tage im Palais verbringe. Wie lange werden Sie und die Chabenskis in Zarskoje Selo sein?«
»Wir genießen bestimmt noch zwei, drei Wochen die Landluft«, erwiderte sie kaum vernehmbar.
»Darf ich Sie besuchen?«
Einen Moment lang zögerte sie. War sie bereit, einen offiziell angekündigten Besuch zuzulassen? Denn das bedeutete, ihm gegenüber einzugestehen, wie gern sie ihn hatte und wie wohl sie sich in seiner Gegenwart fühlte. Sein Händedruck wurde fast unmerklich kräftiger, dennoch spürte sie es mit jeder Faser ihres Körpers. »Wenn meine Aufgaben es zulassen, gern«, erwiderte sie schließlich, nachdem sie gedanklich ein Stoßgebet zu Gott gesandt hatte, weil sie keine falsche Entscheidung treffen wollte.
***
Das Wasser in den Kanälen, Bachläufen und Seen leuchtete mit dem Blau des Himmels um die Wette. Grillen zirpten, Vögel sangen und aus einem Baum drang das Klopfen eines Spechts. Der Wind trieb weiße Schäfchenwolken über die raschelnden, bereits bunt verfärbten Bäume hinweg und die Herbstblumen wiegten sich sanft im Takt ihrer Melodie.
Anki genoss für ein paar Augenblicke die friedliche Schönheit der Parkanlage beim Alexanderpalais. Dabei war es für sie unvorstellbar, dass Alexej womöglich gerade unter schrecklichen Schmerzen litt. Auch das Schicksal von Ljudmila, die von Erinnerungen an eine Nacht gequält wurde, die sie noch immer nicht rekapitulieren konnte, war ebenso schwer nachzuvollziehen wie die Tatsache, dass sich viele Kilometer entfernt soeben viele Tausende junger Männer gegenseitig zu töten versuchten.
Nur widerwillig zwang sie sich in die Gegenwart zurück und sah sich suchend um. Wohin war Ljudmila geflohen? In Richtung der Stallungen und des Elefantenhauses? Ihre Freundin hatte ihr von dem weitläufigen Park mit seinem Zoo, den Pferdeställen, dem Chinesischen Theater und der kleinen Insel inmitten eines Teichs erzählt, die Kinderinsel genannt wurde. Anki, die nicht wusste, ob der ganze Park öffentlich zugänglich war, schlug die Befürchtung, man könne sie als Eindringling betrachten, in den Wind. Sie eilte über eine der vielen Brücken, die sich über die künstlich angelegten Kanäle spannten, und bestaunte die knorrigen Baumbestände, deren Äste bis fast hinunter auf den gepflegten Rasen reichten. Prächtige Herbstfarben hüllten sie ein, doch im Schatten der Baumgiganten begann Anki zu frösteln, zumal ihre Kleidung noch immer nicht völlig getrocknet war.
Schließlich fand sie sich an einer Schleuse ein, die das Wasser des Krestovy-Kanals in einen Teich lenkte. Ein Palisadenzaun versperrte ihr den Weg und vermittelte den Eindruck, einen privaten Parkabschnitt vor sich zu haben. Sie wollte soeben auf den Spazierpfad einbiegen, als sie über den niedrigen Zaun hinweg etwas Weißes im dichten Buschwerk entdeckte. War das Ljudmilas Kleid? Hatte sie sich in den Garten der Romanows
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