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Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)

Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition)

Titel: Sturmwolken am Horizont -: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Büchle
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darauf erkannten sie die zierliche Tatjana. Sie umklammerte die verschnörkelte Türklinke des Roten Wohnzimmers und beugte sich vornüber, als leide sie Schmerzen, ehe sie ihnen zurief: »Vater Grigori weilt nicht mehr in Petrograd, wurde uns gesagt. Er verließ die Stadt ohne Angabe, wohin er reist und wann er zurückzukommen gedenkt.«
    Bei den Worten der Großherzogin wich das unbehagliche Gefühl, das Anki den ganzen Tag über geplagt hatte. War ihre Angst davor, den Starez im Umfeld der Zarenfamilie anzutreffen, denn so ausgeprägt? Ljudmila würde bestimmt ebenso erleichtert auf die Nachricht reagieren, dass Rasputin Petrograd wieder einmal den Rücken gekehrt hatte. Anki richtete sich auf und blickte sich um. Wo hielt Ljudmila sich überhaupt auf? Vorhin hatte Ljudmila einen vollkommen aufgelösten Eindruck gemacht. Dass die Zariza nach einem Sturz ihres Sonnenscheins Rasputin rufen lassen würde, musste ihre Freundin vorausgesehen haben. Daher war es unwahrscheinlich, dass sie sich in der Nähe des Zarewitsch aufhielt.
    Das Kindermädchen wandte sich an die Fürstin. »Hoheit?« Der besorgte Blick ihrer Arbeitgeberin folgte der davoneilenden Großherzogin, dennoch sprach Anki weiter. »Ich würde gern nach Ljudmila Sergejewna sehen.«
    »Nach Ljudmila Sergejewna?« Fürstin Chabenski schaute sie einen Moment verwirrt an, bis sie die Zusammenhänge begriff. Sie hatte vermutlich nie an den Schwindel geglaubt, die Komtess sei erkrankt. »Ja, gehen Sie nur das arme Kind suchen.«
    Prüfend sah das Kindermädchen sich um. Neben der Hofdame Wyrubowa und der Fürstin standen zwei Lakaien und zwei Dienstmädchen in Habachtstellung. Damit wusste Anki die Kinder gut beaufsichtigt. Sie legte die feuchte Decke beiseite und huschte zu einer Zimmertür, in der Hoffnung, aus dem Flur zurück in den Garten zu finden. Ihr nasser Rock behinderte sie beim Gehen. Also beugte sie sich leicht vornüber und hob ihn an, ohne dabei stehen zu bleiben. Prompt stieß sie in der Tür mit jemandem zusammen. Da sie in einem Adelshaus mit hochrangigen Persönlichkeiten rechnen musste, hob Anki erschrocken den Kopf – und blickte in das besorgte Gesicht von Dr. Botkin, einem der Leibärzte der Romanows.
    »Vorsichtig, junge Dame. Wir sind mit unserem Patienten ausgelastet«, sagte er freundlich.
    Anki wich zurück und ließ auch den Chirurgen Derevenko passieren. Der nächste Mann, der ihr in den Weg trat, war Robert. Sein Gesicht, nicht weniger ernst als das seines Mentors Dr. Botkin, erhellte sich bei ihrem Anblick. Forschend wanderte sein Blick über sie und verharrte auf ihrem verschmutzten Rock. »Ist Ihnen etwas zugestoßen?«, fragte er leise und ergriff sie beinahe zärtlich am Oberarm.
    »Mir geht es gut, Dr. Busch. Jelena ist ins Wasser gefallen. Ich musste sie herausholen und wurde dabei gründlich nass.«
    »Meine kleine Jelena schon wieder?« Robert suchte mit den Augen die Anwesenden ab und entdeckte das fast vollständig in ihre Decke eingehüllte Mädchen. »Ich sehe sie mir mal an. Kommen Sie?«
    Anki widerstand dem leichten, auffordernden Druck seiner Hand. »Ich muss Ljudmila Sergejewna suchen. Sie fürchtete wohl eine Begegnung mit Rasputin.« Ihre Entgegnung war nicht mehr als ein verhaltenes Flüstern.
    »Robert?« Dr. Botkin sah ihn fragend an.
    »Einen Augenblick bitte, Exzellenz. Ich komme sofort nach.«
    »Sie kennen ja den Weg.«
    Robert deutete Anki mit einer Kopfbewegung an, dass er mit ihr den Raum verlassen wollte. Sie folgte seiner Aufforderung und drehte sich im Flur zu ihm um.
    »Rasputin verließ vor einigen Wochen auf Anraten des Zaren die Stadt«, erklärte er. »Nach dem Attentat auf ihn in seiner Heimatstadt einen Tag nach dem Mord am österreichischen Thronfolgerpaar, bei dem er lebensgefährlich verletzt wurde, folgte eine lange Rekonvaleszenz. Aus dieser heraus nahm seine Einmischung in die Politik erneut zu. Während der Unruhen vor und nach Kriegsbeginn schickte er dem Zaren etwa zwanzig Telegramme mit seinen Ratschlägen. Dies war selbst für den gutmütigen Nikolaj Alexandrowitsch nicht mehr tolerierbar. Sagen Sie das bitte Komtess Ljudmila Sergejewna.«
    »Sie wird es mit Erleichterung aufnehmen. Vielen Dank, Dr. Busch.«
    Anki sah an dem Arzt vorbei den endlos erscheinenden Flur entlang. Sie wusste von mehreren Attentatsversuchen im Jahr 1913 auf Rasputin. Dieser Mann spaltete das Land mit ebenso unvorhersehbaren Folgen wie die Kluft, die die reichen Adeligen von der verarmten und

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