Sturmzeit
Füßen und hielt dabei wirre Reden.
»Du bleibst jetzt hier sitzen, Tante Belle«, befahl Felicia,»rühr dich nicht von der Stelle!«
Belle sah sie aus glasigen Augen an und war im nächsten Moment schon wieder eingeschlafen. Felicia stürzte nach nebenan ins Kinderzimmer. Der Lärm hatte Nicola schon aufgeweckt. Sie saß im Bett und lächelte Felicia an. »Hallo, Felicia!«
»Nicola, mein Kleines, wir machen einen Ausflug. Hättest du Lust?«
Nicola war sofort auf den Beinen. Felicia legte ihr ihre Kleider hin und schärfte ihr ein, sich nicht aus dem Zimmer zu rühren, dann ging sie sich selber anziehen. Sie stellte dabei fest, daß ihre Hände immer noch zitterten.
Sogar Kat hatte es geschafft, eine Tasche mit den notwendigsten Dingen zu packen. Sie wirkte jetzt sehr ruhig, bewegte sich aber wie eine Schlafwandlerin.
Maksim kam zur Haustür herein, gehüllt in einen schweren Wintermantel, einen dunklen Schal um den Hals geschlungen.
»Seid ihr fertig?« fragte er ohne Umschweife. »Dann können wir los. Die Pferde sind eingespannt.«
»Pferde? Es muß hier auch ein Auto geben!«
»Wir bekommen weit und breit kein Benzin. Außerdem sind die Wege schlecht. Wenn es regnet, verschlammen sie, und wenn es schneit, geht ohnehin nichts mehr. Pferde sind besser.«
Er sah nach oben. »Ist Belle fertig?«
»Ja. Nicola auch.«
»Gut. Du holst Nicola, ich Belle. Und schnell jetzt!«
Schweigend und hastig taten sie alle, was getan werden mußte. Belle hing wie betrunken in Maksims Armen. Wenigstens schien sie keine Schmerzen zu haben. Sie hatte eine Pelzkappe schräg auf den Kopf gedrückt und ihre lockigen Haare mit einer Samtschleife zusammengebunden. Sie sah phantastisch schön und tragisch aus. Sie kam die Treppe herunter, als bewege sie sich auf einer Theaterbühne. Inzwischen waren auch ein paar Dienstboten im Haus erwacht und hatten sich auf der Treppe versammelt. Teils gleichgültig, teils hämisch sahen sie dem Aufbruch zu. Felicia würdigte siekeines Blickes. Sie führte Nicola hinaus in die eisige Nacht, half ihr, auf den Wagen zu klettern und sich in eine Pelzdecke zu hüllen. Belle wurde neben sie gebettet. Ihr Kopf lag in Kats Schoß, und die hatte von Felicia den Auftrag, sie keinen Moment aus den Augen zu lassen.
»Haben wir alles?« fragte Maksim.
Haben wir alles! Was hatten sie denn noch? Felicia kletterte zu Maksim auf den Kutschbock hinauf. »Wir haben alles«, sagte sie mit fremd klingender Stimme.
»Gut.« Maksim nahm die Zügel auf, schnalzte mit der Zunge. Die Pferde - zwei schwere, ruhige Kaltblüter, Kriegsheimkehrer- zogen an. Ihre Hufe klangen laut auf dem gepflasterten Hof, wurden leiser, als die Kutsche die sandige Auffahrt hinabrollte. Das Haus blieb dunkel und still zurück. Der Mond lag als unbeteiligter Zuschauer über den Bäumen, den Pferden quoll weißer Atem aus den Nüstern. Felicia hatte die Hände in Maksims Manteltaschen vergraben. Einmal wandte er sich ihr zu. Sein Gesicht hatte gerade jenen Ausdruck, den es seinerzeit in Petrograd angenommen hatte, als der erschossene Polizist vor ihren Füßen zusammengebrochen war. Im gleichen Augenblick schrie Kat auf. Es war ein so hoher, so schriller, so entsetzter Schrei, daß die Pferde zu tänzeln anfingen. Felicia fuhr herum.
»Kat! Um Himmels willen, was ist denn?«
Noch ehe sie diese Worte zu Ende gesprochen hatte, sah sie es selber: Sie hatten den Park verlassen, und seitlich von ihnen breiteten sich die Felder aus. Sie lagen im Dunkeln, doch im Westen erhellte flammendroter Schein den Himmel, färbte die Wipfel der Bäume wie mit Blut.
Es mußte ein gewaltiges Feuer sein, und das Gut der Baronin mußte bis auf die Grundmauern abbrennen.
Eine kindische Angst ließ Felicia zusammenfahren, eine instinktive Angst vor Dunkelheit und Feuer. Aber im gleichen Augenblick fühlte sie den Haß auf ihre eigene Angst, und sein Erwachen glich einer Explosion. Zum ersten Mal fand sie die Mauern nicht mehr, die sie davor geschützt hatten, erwachsen zu werden; jene Mauern aus Eitelkeit, Trotz und unerschütterlichem Selbstvertrauen, die immerselbstverständlich um sie gestanden hatten.
Die Angst nahm ihr den Atem, aber da waren auch der Haß, der Zorn, die sie für alles Schwache, besonders für ihre eigene Schwäche hatte. Mit der Angst erwachte die Kampfeslust, und ohne es wirklich zu wissen, nahm sie in dieser Nacht den Kampf gegen ihre Angst auf.
»Sieh nicht hin, Kat«, sagte sie, »du verbrauchst zuviel Kraft dabei. Sieh
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