Sturmzeit
Tag mehr aufhetzten. Die Drohungen von Knechten und Bauern waren so massiv geworden, daß die Familie der Baronin seit dem gestrigen Tag nicht mehr gewagt hatte, das Haus zu verlassen. Da die Telefonverbindung unterbrochen war, konnten sie nicht einmal um Hilfe bitten. Am Abend war eine Gruppe von fünfzehn jungen Burschen ins Haus eingedrungen - eines der Hausmädchen hatte ihnen die Tür geöffnet - und hatte von sämtlichen Räumen Besitz ergriffen, sich über den Wodka hergemacht, einige Möbel zerschlagen und mit feuerroter Farbe Haßparolen an sämtliche Wände geschmiert. Die Baronin und ihre Söhne hatten sich in ein Dachzimmer zurückgezogen, waren aber auch hier bedrängt und belästigt worden. Dank des Wodkas war die Stimmung der Eindringlinge immer überschäumender geworden. Sie hatten alle Kerzen, die sie finden konnten, angezündet und versuchten, einen Pelzmantel der Baronin im Kamin zu verbrennen. Ob sie tatsächlich vorgehabt hatten, das ganze Haus in Flammen aufgehen zu lassen, ließ sich nicht mehr feststellen, aber plötzlich brannten Teppiche und Vorhänge. Die Randalierer waren völlig außer sich geraten. Sie hatten Fackeln aus Tisch-und Stuhlbeinen gemacht und sie in die Gänge und Zimmer geworfen.
»Ich schrie immer nur, wir müssen weg!« berichtete der ältere Mann, wild gestikulierend. »Keiner versuchte, uns festzuhalten. Aber sie sagten: Wir machen noch mehr Freudenfeuer, wir ziehen weiter. Alle Paläste sollen brennen heute nacht. Wir wollen euch warnen: Geht weg! Lauft, so weit ihr könnt!« Er hielt inne. Kat machte einen Schritt auf ihn zu, ergriff seine Hände. »Andreas! Nikita! Die Baronin! Was ist mit ihnen!«
Der Mann zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht. Wir konnten nicht mehr zu ihnen.«
»Was heißt das, ihr konntet nicht mehr zu ihnen?«
Nun mischte sich die Frau ein. »Konnten nicht, weil ganzes Treppenhaus gebrannt hat!«
Kat starrte sie an. Ihr Gesicht drückte Fassungslosigkeit, dann ungläubiges Entsetzen aus. »Das Treppenhaus brannte... ja, aber dann... o Gott!« Sie wollte zur Haustür. Felicia konnte sie gerade noch festhalten. »Kat! Du kannst da jetzt nicht hin! Das wäre wahnsinnig. Du ziehst dir jetzt etwas an, wir müssen sofort weg!«
Kat schrie auf. »Nein! Ich muß zu Andreas!«
»Dem kannst du jetzt nicht helfen.« Felicia, die an allen Gliedern bebte, hätte das junge Mädchen am liebsten geohrfeigt.
»Du bleibst bei mir, und wenn ich dich fesseln muß!«
Kat wehrte sich rabiat gegen die Hand, die sie festhielt. Um ein Haar hätte es einen Ringkampf zwischen den beiden Frauen gegeben, aber eine scharfe Stimme von der Treppe her ließ sie innehalten. »Was geht hier vor?« Es war Maksim.
Felicia wäre beinahe in Tränen ausgebrochen vor Erleichterung.
»Maksim, wie gut, daß du wach bist! Es ist etwas Schreckliches passiert!« In Windeseile berichtete sie von den Ereignissen der Nacht.
Maksim sah sehr ernst aus. »Da diese Leute offenbar betrunken sind, bilden sie eine wirkliche Gefahr«, sagte er, »es wird schwierig sein, mit ihnen zu reden. Sie bringen sich selber in die größte Schwierigkeit, weil sie sich am Volkseigentum vergreifen, und das wird sehr hart geahndet werden. Aber in ihrem Zustand verstehen sie das überhaupt nicht.«
Kat stand noch immer mitten in der Halle und rieb sich das Handgelenk, das von Felicias eisenhartem Griff brannte. Ihre dunklen Augen schienen schwarz vor Angst und waren übergroß aufgerissen. Maksim neigte sich zu ihr hin. »Wir müssen jetzt an uns denken, Kat«, sagte er freundlich, aber bestimmt, »ziehen Sie sich bitte an. Wir gehen fort.«
Zitternd und widerspruchslos fügte sich Kat seiner sanften Stimme.
Sie dreht durch, ehe die Nacht vorüber ist, dachte Felicia ahnungsvoll. Sie lief hinter Maksim her, der die Treppe hinaufstieg. »Maksim!«
Er wandte sich zu ihr um. »Weck deine Tante auf und versuch ihr klar zu machen, was geschehen ist. Sie soll sich etwas Warmes anziehen. Und dann mach das Kind fertig!«
»Maksim, ich weiß nicht, ob Tante Belle...«
In seinen Augen blitzte Wut. Sie wußte nicht, auf wen sich seine Wut richtete, auf sie, auf ihn selbst oder auf das Schicksal.
»Es wird eine Tortur! Aber wir haben jetzt keine andere Wahl!«
Belle erwachte aus Fieberträumen und begriff nicht im mindesten was los war. Felicia mußte sie fast gewaltsam aus dem Bett ziehen. Während sie ihr in die Kleider half, drohte Belle immer wieder umzufallen. Sie sträubte sich mit Händen und
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