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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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nicht hin, denk nur daran, daß wir irgendwie durchkommen müssen. Sieh nicht hin!«

    Gegen Morgen begann es zu schneien, und Felicia fing an zu ahnen, wie die Hölle aussehen mußte. Das Gesicht des Teufels war weiß wie der Schnee, schwarz wie die Tannenwälder und unerbittlich wie die Nacht, die nur zögernd in einen dunklen, grauen Morgen überging. Tiefe Wolken hingen am Himmel, schwerfällig und ruhig erst, dann von heulendem Sturm getrieben; die Schneeflocken fielen sanft und gleichmäßig zur Erde, später schlugen sie den Flüchtenden in eisigen Böen in die Gesichter. An den Mähnen der Pferde bildeten sich Eiszapfen. Es dauerte nicht lange, und die Kutsche steckte fest... Maksim warf die Zügel hin und sprang vom Wagen. »Wir müssen zu Fuß weiter, es hilft nichts«, sagte er, »ich spanne die Pferde aus. Wie geht es Belle?«
    Felicia spähte nach hinten. Sie fror so sehr, daß sie meinte, ihre Knochen müßten bei jeder Bewegung brechen. Sie konnte Kats blasses Gesicht erkennen und ein unterdrücktes Schluchzen von Nicola vernehmen. »Kat, wie geht es Tante Belle?«
    »Ich weiß nicht... Sie hat furchtbar hohes Fieber, glaub' ich. Sie ist ganz still. Vielleicht bewußtlos!«
    »Das beste, was ihr passieren kann. Irgendwie müssen wir sie auf einem der Pferde festbinden. Es geht nämlich jetzt zu Fuß weiter.«
    »Zu Fuß? Bei dem Schneesturm? Aber...«
    Mit einem wütenden Heulen jagte der Wind die Flocken auf. Eisig brannten sie in Felicias Gesicht. Unvermittelt schossen ihr die Tränen in die Augen. Bis ans Ende ihres Lebens, sie wußte es, würde sie diese furchtbare Kälte nicht vergessen. Mühsam kletterte sie vom Wagen. Sie befanden sich auf einem schmalen, unebenen Weg, an dem rechts und links hohe schwarze Tannen standen. Zwischen ihren Wipfeln konnte sie die Wolken über den Himmel jagen sehen. Sie stellte fest, daß ihre Schuhe nicht den geringsten Schutz gegen den Schnee boten und ihre Zehen im Eiswasser erstarrten.
    Ich werde wohl sterben, dachte sie apathisch.
    Maksim hatte endlich die Pferde ausgespannt und Belle auf das größere von beiden hinauf gehoben. Belle war tatsächlich bewußtlos gewesen, aber nun erwachte sie und klagte über brennenden Durst. Sie glühte vor Fieber, immer wieder verwirrten sich ihre Worte. Es war nicht daran zu denken, daß sie es schaffen würde, allein auf dem Pferd sitzen zu bleiben.
    »Kat, Sie müssen hinter sie«, befahl Maksim, »anders geht es nicht. Halten Sie sie gut fest. Und Nicola kommt auf das andere Pferd.« Er warf Felicia ein kameradschaftliches Lächeln zu.
    »Und wir laufen. Wenn's geht.«
    »Ja ja. Hast du eine Ahnung, wo wir ungefähr sind?«
    »Noch nicht weit. Im nächsten Haus, das wir sehen, versuchen wir Aufnahme zu finden. Hoffentlich«, er sah besorgt zum Himmel, »hoffentlich sehen wir bald eins!«
    Sie stapften los, Schritt um Schritt, mechanisch, kältestarr, jeden Gedanken in sich selber tötend. Immer höher türmte sich zu ihren Füßen der Schnee. Das Gutshaus stand verlassen. Als sie sich endlich davon überzeugt hatten, daß sich weder in den Fluren noch in den Zimmern Feinde versteckt hielten, wäre Felicia vor Erleichterung beinahe in Tränen ausgebrochen. Maksim vermutete, daß die Bewohner des Hauses verhaftet worden waren, denn es sah alles danach aus. Schränke und Kommoden waren aufgebrochen worden, Schubfächer herausgerissen, Betten durchwühlt und Matratzen von Bajonetten durchstochen. In einigen Zimmern hatte man sogar die Tapete in Streifen von der Wand gerissen. Aber das Haus selber stand, es hatte Mauern, ein Dach und Fenster, die den stürmischen Tag aussperrten. Während Maksim die Pferde in den Stall brachte, stützten Felicia und Kat Tante Belle die Treppe hinauf und legten sie in einem der Zimmer ins Bett. Die Bettwäsche fühlte sich ein wenig klamm an, und Felicia schickte Kat mit dem Auftrag fort, irgendwo eine Wärmflasche aufzutreiben und Wasser heiß zu machen. Sie selber zündete alle Kerzen an, die sie im Zimmer fand, denn das elektrische Licht funktionierte im ganzen Haus nicht mehr. Sie entdeckte ein Paar dicke, weiche Pelzpantoffeln, die neben dem Kamin standen, streifte ihre durchweichten Stiefel ab und glitt aufatmend in das Fell. Es war ihr, als taute sie ganz langsam auf. Nach und nach erwachte sie aus ihrer Apathie. Sie trat auf das Bett zu und betrachtete das ausgemergelte graue Gesicht ihrer Tante, lauschte auf den flachen, stoßenden Atem. Sie fuhr herum, als sie eine Bewegung hinter

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