Sturmzeit
»Modeste sagte «
»Was?«
»Na ja, daß du und Maksim...« Er schwieg.
Felicia stand auf, zupfte ihr zerdrücktes Kleid zurecht. »Gott schütze dieses Ungeheuer«, murmelte sie, »heute abend findet Modeste mindestens zehn dicke, schwarze Spinnen in ihrem Bett vor, darauf kann sie sich verlassen.« Mit wütendem Schwung setzte sie ihren Hut auf den Kopf. »Ich gehe jetzt nach Hause. Es ist ohnehin schon spät.«
Benjamin sprang auf die Füße und streckte die Hand nach ihr aus, aber sie trat zurück. Resigniert wandte er sich ab.
»Komm, wir gehen«, sagte er, »es ist schon spät.«
Auf dem ganzen Weg sprach er kein Wort. Erst als Lulinn vor ihnen auftauchte, blieb er stehen. In seinen Augen lag eine Zärtlichkeit, die Felicia als erdrückend empfand.
»Was auch geschieht«, sagte er, »du kannst immer zu mir kommen, wenn du Hilfe brauchst. Auch wenn du meine Gefühle nie erwiderst, ich würde alles für dich tun.«
Felicia merkte, daß eine leise Gereiztheit sie befiel. Sie war nie selbstlos, ihre Taten nie zweckfrei. Allzuviel menschliche Größe fand sie ärgerlich. »Danke«, entgegnete sie ein wenig von oben herab, »es ist gut, das zu wissen. Auf Wiedersehen, Benjamin. Und wenn du doch noch zu den Soldaten gehst, dann sag es mir. Ich komme zum Bahnhof und winke dir nach!« Sie lachte, die kurze Beklommenheit war verflogen. Eilig lief sie die Allee entlang. Der gute Benjamin! Sie hatte ihn wirklich gern, aber mehr konnte sie beim besten Willen nicht für ihn empfinden. Sie summte eine leise Melodie vor sich hin und dachte an Maksim, bis eine schrille Stimme sie aufschreckte. Modeste stand plötzlich vor ihr. »Na? Wo kommst du her? War es nett mit Benjamin?«
»Ach, du bist es!« Schnell packte Felicia einen von Modestes fahlgelben Zöpfen und riß daran. Modeste schrie auf. »Au! Was machst du denn?«
»Du weißt schon, wofür. Und wenn du es nicht weißt, verdienst du es trotzdem. Du hinterhältiges, dummes Stück!«
Modeste fing an, laut zu weinen. »Mutter, Mutter, komm schnell! Felicia reißt mir alle Haare aus!«
Gertrud eilte keuchend herbei. Sie hatte rote Flecken im Gesicht, und ihr Kleid klebte feucht an ihrem Körper. »Laß Modeste in Ruhe!« schrie sie. »Was fällt dir denn ein? Dein Großvater ist sehr krank, und du...«
»Was? Großvater ist krank?«
»Schwer krank«, wiederholte Gertrud genüßlich, denn sie haßte keinen Menschen so wie Ferdinand Domberg, »der Arztist jetzt bei ihm. Er ist vorhin beim Teetrinken zusammengebrochen, Herzanfall!«
Zum ersten Mal fand Felicia, daß das Gesicht ihrer Großmutter alt aussah. Für Augenblicke hatte sie ihre überwältigende Vitalität verloren. Sie stand vor der Schlafzimmertür, starrte dem Arzt nach, der Ferdinand absolute Bettruhe verordnet hatte, und wirkte ein wenig fassungslos. »Ach, Felicia«, sagte sie und ließ sich in einen der Sessel fallen, die auf dem Gang standen,
»Felicia, das war wirklich scheußlich eben. Wir saßen auf der Terrasse beim Tee, plötzlich läßt Großvater seine Tasse fallen, greift sich ans Herz und schnappt nach Luft. Ich dachte erst, er spielt Theater, aber dann... ah, ich brauche jetzt eine Zigarette!«
Laetitia fischte eine Zigarette aus ihrer Rocktasche und steckte sie an. Felicia wußte, daß ihre Großmutter hin und wieder rauchte, aber heute hielt sie ihr zum ersten Mal ebenfalls eine Zigarette hin. »Hier, willst du auch eine? Manchmal hilft das. Ich wüßte gar nicht, wie ich ohne Schnaps und Zigaretten mein Leben überstanden hätte.«
Felicia tat ein paar vorsichtige Züge. Sie verschluckte sich, Tränen traten ihr in die Augen, und sie mußte husten, aber durch den Qualm lächelte sie Laetitia zu, und die erwiderte das Lächeln.
Ihre Ruhe wurde jäh gestört, als laute Schritte die Treppe hinauftrampelten und ein keuchender Victor mit zerwühlten Haaren auftauchte. Er blickte pikiert auf die beiden rauchenden Frauen. »Mutter, ich habe dir hundertmal gesagt...« fing er an, aber Laetitia unterbrach ihn scharf: »Hör auf mit deiner Pedanterie. Deinem Vater geht es nicht gut.«
»Gertrud hat es erzählt. Ist es sehr schlimm? Soll ich mal nach ihm sehen?«
»Er übersteht's, meint der Arzt. Und geh nicht zu ihm. Er soll schlafen.«
»Gut. Es... es tut mir leid, daß ich gerade jetzt damit komme... aber...« Victor war so aufgeregt, daß er keine Worte fand. Schließlich platzte er heraus: »Ich melde mich bei den Reservisten in Königsberg. Ich reise schon morgen
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