Sturmzeit
finden den Weg alleine.« Er hielt Wolff die Tür auf, und der stolperte zornig hinaus. Alex schloß die Tür wieder. Er schnallte seinen Pistolengurt ab und warf ihn in einen Sessel. Er schenkte sich ein Glas Whisky ein und kippte es hinunter wie Wasser. Dann lächelte er und trat an Felicia heran. »Sieh einer an«, sagte er, »du bist also wohlbehalten von all deinen Abenteuern zurückgekehrt. Kat auch?«
»Ja. Sie ist oben. O Alex, wußtest du, daß wir von den Russen gefangen genommen wurden und...«
»Deine Mutter hat es mir nach Frankreich geschrieben, ja. Ich wußte es.«
»Oh...« Felicia suchte in seinen Zügen, in seiner Stimme etwas von der Angst zu finden, die er doch zweifellos um sie gehabt haben mußte, aber er hatte sich vollkommen unter Kontrolle. Sein Mienenspiel verriet ihn nicht.
»Ich habe furchtbar viel erlebt«, sagte sie schwach. Alex lächelte. »Das haben wir alle«, meinte er gleichmütig. Sein Blick umfaßte ihre Gestalt. »Du bist ganz schön schwanger, dafür, daß wir uns seit Jahren nicht gesehen haben!«
Felicia zuckte zusammen. Sein Tonfall hatte sich nicht verändert, doch sie witterte eine gefährliche Angespanntheit hinter seinen lässigen Worten. Verletzbar und unsicher, wie sie sich seit einiger Zeit fühlte, hätte sie ihm am liebsten gesagt, er solle sich zum Teufel scheren, aber wahrscheinlich wäre sie im selben Moment in Tränen ausgebrochen, und außerdem konnte sie es sich nicht leisten, ihn zur Hölle zu jagen. Sie mußte versuchen, Milde in ihm zu wecken. Aus großen Augen sah sie ihn an. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, was ich da drüben erlebt habe. Erst war ich im Lager, und der Typhus brach aus. Meine Tante Belle holte uns nach Petrograd. Aber dort gerieten wir mitten in die Revolution. Ich habe gesehen, wie Menschen erschossen wurden...« Das Grinsen, mit dem er diesen letzten Satz quittierte, ließ sie einen Moment lang stocken. Sie biß sich auf die Lippen. Wie albern, so etwas zu sagen. Er hatte weiß
Gott mehr Menschen sterben sehen als sie. »Wir mußten nach Estland fliehen«, fuhr sie stockend fort, »aber die Zustände dort... es herrschte Aufruhr... Anarchie fast. Mein Onkel wurde verhaftet, Tante Belle war krank, und eines Nachts ging das Nachbargut in Flammen auf. Wir wurden gewarnt und mußten fliehen. Es war November, es schneite und war eisig kalt...«
Amüsiert betrachtete Alex ihr schönes, blasses Gesicht, dem der Ausdruck kindlichen Flehens nicht mehr recht stehen wollte.
»Ja, ja«, entgegnete er ungerührt, »ich sehe nur nicht, wie man von all dem schwanger wird!«
Seine Gemütsruhe begann Felicia mehr und mehr zu reizen, zumal sie begriff, daß es bloße Einschüchterungstaktik war und er jeden Moment zuschnappen konnte. So war er immer gewesen. Wie eine Katze mit der Maus liebte er es, mit seinen Opfern zu spielen. Aber er hatte sich getäuscht. Mit ihr würde er nicht länger so umspringen können. Sie warf den Kopf zurück.
»Du bist sehr häßlich«, bemerkte sie kühl, »bei all dem hätte ich schließlich auch draufgehen können!«
»Du nicht.«
»Warum ich nicht?«
»Weil du es verstehst zu überleben.«
»Ach...« Wie immer jetzt, wenn sie nervös wurde, angelte sie nach einer Zigarette, doch Alex war schneller. Er umklammerte ihr Handgelenk. »Nicht! In deinem Zustand!« Mit einem Schlag schaltete er sein Lächeln aus. »So«, sagte er kalt, »und nun will ich wissen, wer der Vater des Kindes ist, das ja wohl meinen Namen tragen wird.«
Felicia, wutentbrannt, weil er nicht daran dachte, ihren Arm loszulassen, schleuderte ihm die Worte nur so ins Gesicht:
»Maksim Marakow!«
Er ließ sie los und trat einen Schritt zurück. »Das dachte ich mir. Außer ihm hätte es keinen für dich gegeben. Auf deine Art bist du treu.«
Felicia wagte es nicht, noch einmal nach einer Zigarette zu greifen. Sie stand Alex gegenüber, und er war so unbegreiflich und gefährlich wie ein Fremder für sie. Nachdem sie ihn so lange nicht gesehen hatte, konnte sie sich nicht mehr vorstellen, warum sie diesen Mann einmal geheiratet hatte. Seit ihrer ersten Begegnung bis heute war sie ihm keinen Schritt nähergekommen. Sie hatte geglaubt, er sei so klar zu durchschauen wie spiegelblankes Glas, und nicht so schwierig wie Maksim. Doch jetzt auf einmal begriff sie, daß sie Alex noch weniger verstand als Maksim.
Einen Moment lang trieb sie ihre eigene Verwirrung in die Enge, doch dann kniff sie die Augen zusammen. Die Falte, die über ihrer
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