Sturmzeit
wir. Er kennt auch den letzten Winkel unserer gehässigen Seelen, deshalb treffen ihn unsere Bosheiten nicht. Aber er«. Severin wies kichernd auf Felicias'Bauch, »der Vater deines Kindes, er quält dich, stimmt's? Bis aufs Blut quält er dich! Man sieht es dir an!«
»Mich quält überhaupt niemand!« fuhr Felicia auf. Von dem Tisch in der Ecke nahm sie die Karaffe mit dem Portwein, schenkte sich ein Glas ein und kippte es herunter. Als sie sich wieder umdrehte, gewahrte sie Mitleid in Severins Augen. Ein scharfes Wort lag ihr auf den Lippen, doch Severin winkte ab.
»Streite nicht mit mir. Ich bin ein schwerkranker Mann.«
»Krank? Du? Ich wette, du bist in deinem ganzen Leben noch nicht krank gewesen!«
»In meinem Leben noch nicht, aber jetzt. Der verfluchte, alte Körper will nicht mehr. Das Herz will nicht mehr. Ich hatte zwei Infarkte. Zwei Jahre gibt mir der Arzt noch.«
»Zwei Infarkte? Aber...« »Sieh mich doch an! Oh, ich habe dein Gesicht bemerkt, als du vorhin ins Zimmer kamst. Wie alt er geworden ist, hast du gedacht, und: Er sieht ja ganz verändert aus! Gut beobachtet, mein Schatz. Severin ist nicht mehr der alte. Vielleicht hättet ihr ihn nicht allein lassen sollen, du und Kat und dein sauberer Gemahl!« Severin hustete, und er machte sich nicht mal die Mühe, dabei die Hand vor den Mund zu halten. »Was wißt ihr von meiner Einsamkeit! Von den endlosen Stunden, Tagen und Wochen, die ich allein war mit meinem kranken Körper! Was mich tröstet ist nur...«, jetzt sprühten die kleinen, boshaften Augen Funken, »daß sich die Krankheit nicht auf meinen Körper beschränkt hat. Nein, sie hat sich ausgebreitet. Sie ist gewissermaßen meine Hinterlassenschaft an euch!«
Hinterlassenschaft? Was redete er da? Eine kalte Angst kroch in Felicia auf, ließ ihre Augen schmal und lauernd werden.
»Was heißt das? Wie... wie stehen denn die Geschäfte?«
Severin kicherte erneut. Die hellen, kindischen Laute zerrten an Felicias Nerven. Wenn er damit nicht gleich aufhörte, würde sie schreien.
»Du bist gekommen, weil du Geld brauchst! Das hab' ich mir schon gedacht. An mich hast du dich immer gewandt, wenn du Geld wolltest, ist es nicht so? Dann komm her, setz dich zu mir, und ich erzähle dir von meiner Hinterlassenschaft!« Er streckte seine dürren, arthritischen Finger nach ihr aus. Sie ging langsam auf ihn zu. »Du mußt doch im Geld fast ersticken«, sagte sie beschwörend, »wir haben Krieg, und deine Fabrik produziert Uniformen. Wahrscheinlich bist du reicher, als du überhaupt weißt!«
Sie war nah genug herangekommen, daß seine Hand sie erreichen konnte. Er umfaßte ihren Arm und zog sie mit einem schmerzhaften Ruck zu sich heran, zwang sie neben sich in die Knie. Sein Gesicht kam dicht an ihres heran, sie konnte seinen schlechten Atem riechen.
»Jetzt«, sagte er langsam, »erzähle ich dir, welches Vermächtnis du antrittst!«
Als Felicia spät abends in ihr Zimmer ging, wußte sie, daß sie die ganze Nacht über keinen Schlaf würde finden können. Sie zog sich aus und legte sich ins Bett, aber sie ließ das Licht brennen und starrte mit weitgeöffneten Augen an die Decke. Ihre Gedanken wirbelten. Sie hatte begriffen, was Severin meinte, als er sagte, die Krankheit habe sich über seinen Körper hinaus ausgebreitet. Er meinte die Fabrik. Sie gehörte zu fast siebzig Prozent einer »emporgekommenen Ratte«, wie Severin sagte - Tom Wolff.
Felicia erinnerte sich dunkel an diesen Mann. Es war nicht viel mehr, was sie wußte, als daß sie ihn ziemlich vulgär gefunden hatte und daß er hinter Kat hergewesen war. Ein Bauer, hemmungslos ehrgeizig und sehr reich, und die ganze Gesellschaft hatte auf ihn herabgesehen.
»Warum hast du das getan?« hatte sie Severin verzweifelt gefragt. »Warum hast du ausgerechnet ihm so viele Anteile verkauft?«
»Keine andere Wahl. Ich habe immer gesagt, ihr hättet mich nicht allein lassen dürfen. Alex war vom Militär zurückgestellt, um die Fabrik zu leiten, aber er zog es ja vor, nach Frankreich zu gehen.«
»Ihr müßt doch wie die Verrückten produziert haben. Ihr könnt überhaupt nicht in finanzielle Schwierigkeiten gekommen sein!«
»Wir hatten dieselben Schwierigkeiten wie alle. Zu wenig Arbeitskräfte. Unsere Arbeiter fielen ja an der Front. Natürlich, wir bekamen Kriegsgefangene zugewiesen. Aber mir wuchs das alles über den Kopf. Ich war sehr krank, ich bin immer noch krank. Ich werde sterben. Ich sah nicht ein, weshalb und für wen ich
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