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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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fanden!«
    Auch jetzt sagte sie leise: »Weißt du, welches ihre letzten Worte gewesen sein sollen? Nicht schießen! Und sie haben sie durchsiebt mit ihren Gewehrkugeln!«
    Maksim griff nach ihrer Hand. »Die Opfer der Revolutionen...« sagte er. »Aber denk auch an alles andere. Denk daran, daß morgen in Deutschland Wahlen stattfinden und daß zum ersten Mal die deutschen Frauen ihre Stimmen abgeben werden. Dafür hast du immer gekämpft. Es ist auch dein Sieg.«
    Mascha lächelte schwach. Mit einem Seufzer kuschelte sie sich tiefer in ihre Kissen. Draußen heulte der eisige Januarwind ums Haus, wirbelte Schneeflocken durch die Straßen. 1919, das zweite Jahre nach der Revolution, war gerade angebrochen. Maksim und Mascha lebten schon seit einiger Zeit nicht mehr in ihrem Kellerloch, sondern in einer geräumigen Wohnung nahe dem Newskij Prospekt. Mascha war Kommissarin im Stadtkomitee von Petrograd und unermüdlich auf den Beinen. Maksim betrachtete ihr schwach beleuchtetes Gesicht. Seit einiger Zeit kam sie ihm immer jünger und zerbrechlicher vor. Sacht strich er ihr über die Wangen, glitt mit den Fingern ihren Hals entlang. Seine Hand umfaßte ihre Brüste. Er neigte sich über sie, und sie wandte ihm ihr Gesicht zu, in dem die dunklen Augen übergroß und wach waren. »Nein, bitte nicht, Maksim.«
    Er zog sich zurück. Er sagte nichts, und auch Mascha schien nichts weiter erklären zu wollen. Seit einiger Zeit schon ging es so; sie fanden nicht einmal mehr diesen Weg zueinander. Maksim fragte sich, woher diese Entfremdung rührte. Es mußte damit zusammenhängen, daß jeder von ihnen längst eine andere Richtung eingeschlagen hatte. Seit den Tagen, da er angefangen hatte, an seinen Idealen zu zweifeln, war jene wortlose Verständigung zwischen ihnen erloschen, die Grundpfeiler ihrer verliebten Komplizenschaft gewesen war. Das Rad hatte sich weitergedreht. Weil er an der Revolution zweifelte, zweifelte Mascha an ihm. Diskussionen endeten in stummer Erbitterung.
    »Was mit der Zarenfamilie geschehen ist, war Mord. Nichts anderes. Es ist nicht zu rechtfertigen, durch nichts.«
    »Hör zu, ich finde es auch nicht phantastisch, was in jener Nacht da in Jekaterinburg passiert ist, aber es war notwendig.«
    »Ich sehe die Kinder in den Straßen am Hunger sterben.«
    »Maksim, sie sind das Opfer, das jeder Revolution gebracht werden muß!«
    Mascha verschloß sich, erzählte ihm nicht mehr von ihren Plänen. Sie vergrub sich in ihre Arbeit, verließ in allerfrühester Morgenstunde das Haus und kehrte erst spät am Abend zurück. Sie hatte eine aktive Rolle in der Partei übernommen, während er mehr und mehr von deren Linie abwich.
    Sie haßt es, wenn ich von Dingen rede, die sie nicht hören will, dachte Maksim. Wenn ich davon spreche, daß wir auf eine katastrophale Ernährungskrise hinsteuern, wenn ich ihr klarmachen will, daß die Industrieproduktion unseres Landes auf ein Siebtel der Vorkriegsproduktion abgesunken ist. Wenn ich das Wort Ein-Parteien-Diktatur in den Mund nehme, würde sie mir am liebsten an die Kehle gehen... Dabei haben wir einander einmal geliebt.
    Seit seinem Erlebnis mit Felicia vor über einem Jahr war er Mascha noch ein paar Mal untreu gewesen. Kurze flüchtige Abenteuer mit irgendwelchen Mädchen, deren Namen keine Rolle spielten. Er traf sie in Kneipen, in billigen Hotels, wenn er verreiste. Meistens bewunderten sie ihn, weil er so gut aussah, so melancholische Augen hatte und in keiner Lebenslage seine guten Manieren vergaß. Da er nie ein Mann gewesen war, der seine Selbstbestätigung aus amourösen Abenteuern bezog, mußte er sich irgendwann die Frage stellen, was mit ihm los war. Wovor, zum Teufel, lief er weg?
    Um ehrlich zu sein, dachte er, vor mir selber. Das, woran ich geglaubt habe, ist dahingegangen, und ich fühle mich wie ein alter Mann, der vergeblich nach dem Feuer sucht, das ihn in seiner Jugend erfüllt hat.
    Was er sich nicht eingestand - und er würde es sich nicht eingestehen bis ans Ende seines Lebens: Er sehnte sich nach Felicia.

    In den Straßen von München hallten Gewehrschüsse. Man hatte sich in diesem Frühjahr 1919 schon beinahe daran gewöhnt. Seit in Bayern Anfang April die Räterepublik ausgerufen wordenwar, herrschten Verwirrung, Ratlosigkeit und Verunsicherung. Am ersten Mai waren Truppen des Freikorps zum ersten Mal gegen linke Aufständische vorgegangen. Die Niederwerfung verlief blutig. Täglich wurden Revolutionäre verhaftet, in Gefängnisse gesperrt

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