Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
Vom Netzwerk:
muß an Belle denken. Und an Nicola. Dann sind da noch Mutter, Großmutter, du, Linda und euer Kind. Wir können doch nicht alle miteinander verhungern!« Felicia sprach eindringlich, aber ihre Worte entzündeten keinen Funken in Jos Augen. Mitleid und Sorge konnte sie in ihnen entdecken, aber keine Energie. Er schwieg sehr lange, dann sagte er: »Felicia, ich werde dir nicht helfen können, aber wenn du willst, daß ich auf Lulinn bleibe, dann bleibe ich. Sonst würde ich...« Er stockte.
    »Was?«
    »Ich würde nach Berlin gehen. Und von dem Geld, das Vater mir hinterlassen hat, ein Universitätsstudium beginnen.«
    »Universität?« Felicia schnappte nach Luft. Ihnen allen stand das Wasser bis zum Hals, und Jo gedachte, seine Zeit in Hörsälen und hinter Büchern zu verschwenden. »Jo, du...«
    »Ich weiß, du hältst mich für verrückt«, unterbrach er sie,»aber es ist mein größter Wunsch. Ich will, ich muß diese Hölle vergessen, die ich erlebt habe. Ich habe Sehnsucht nach... diesen unnützen Dingen wie Büchern und Hörsälen...«
    Felicia errötete, weil Jo ihre Gedanken so genau erraten hatte.
    »Ich will mit Studenten und Professoren zusammen sein«, fuhr er fort, »mit Menschen, die zusammen arbeiten, diskutieren, die ihre Intelligenz beweisen wollen, anstatt einander zu erschießen. Versteh doch, ich brauche ein neues Bild von der Menschheit, sonst werde ich irgendwann verrückt.«
    Felicia nickte. »Du möchtest...«
    »... Rechtsanwalt werden.« Jo lächelte. »Ein guter Jurist. Ich kann es schaffen. Linda und Paul werden solange bei Lindas Eltern leben. Aber ich meine es ernst - wenn du mich hier brauchst...«
    »Nein. Nein, du mußt nach Berlin gehen, du mußt ein brillanter Rechtsanwalt werden.« Felicia sprach klar und ohne Zögern. Innerlich dachte sie: Es ist verrückt, und ich kann's nicht verstehen, aber Jo wird krank, wenn ich ihn zurückhalte. Und es kommt sowieso nichts dabei heraus, wenn man Menschen zu etwas zwingt.
    Es war einer der wenigen Momente ihres Lebens, wo ihr Eigennutz hinter ihrer Liebe zurückblieb. Sie küßte Jo sacht auf die Wange. »Ich komme hier allein zurecht. Mach dir keine Sorgen.«
    Jo sah seine Schwester unsicher an. »Ich mache mir natürlich Sorgen um dich.«
    »Völlig unnötig!« Felicia erhob sich. Wohlerprobt in der Fähigkeit, ihrem Gesicht den Ausdruck zu verleihen, den die jeweilige Stunde erfordert, gelang es ihr, zuversichtliche Munterkeit zu spielen. »Ich krieg' das alles hin. Ich bin eine clevere Person, weißt du. Im Handumdrehen habe ich einen Weg gefunden, und wir sind fein raus.«
    Jo seufzte. Felicia war gut, aber nicht perfekt. Ihr Lachen hatte ihre Augen unberührt gelassen.
    Sie hat Angst, und ich bin ein verdammter Egoist, dachte er. Doch ehe er noch etwas sagen konnte, war sie schon zur Haustür hinaus und schlenderte durch den Sonnenschein zur Pferdekoppel.

    Benjamin Lavergne war an diesem Abend von Skollna herübergekommen und machte einen Spaziergang mit Modeste, die einen Strohhut trug, der ihren Kopf noch tiefer in die Schultern zu pressen schien, und auf dem ganzen Weg ununterbrochen kicherte. Sie erzählte ihm irgendeine idiotische Geschichte aus ihrer Schule, aber er hörte gar nicht zu. Seit er aus dem Krieg zurückgekehrt war, vergrub er sich noch tiefer als früher in eigene Gedanken. Er zeigte stark fatalistische Neigungen, und sein Lieblingsausspruch war: »Es kommt alles, wie es kommen soll!« Sie gingen die Eichenallee von Lulinn entlang, und plötzlich rief Modeste: »Ach, da ist ja Felicia!«
    -Es kommt alles, wie es kommen soll!
    Mit einer jähen Bewegung wandte er den Kopf. Es waren fünf Jahre vergangen seit jenem Abend, als er sie geküßt hatte, aber er begriff sofort, daß sich für ihn nichts geändert hatte. Felicia lehnte am Koppelzaun und streichelte ein Pferd. Nun drehte sie sich um. Sie trug das hellgraue Kleid aus Berlin mit der Rose im Ausschnitt, und ihr Haar nahm im Licht der Abendsonne einen rötlichen Glanz an. Benjamin betrachtete sie und fühlte sich verzaubert. Das war seine Felicia, unverwechselbar und doch verändert. Schmaler im Gesicht, ernster und strenger. Die Wangen nicht mehr rund, die Augen hungriger, wacher, auch kühler, und sie war schön, sie war noch schöner als damals, sie war alles für ihn, und es würde nie anders sein. Wenn er je von einer Frau geträumt hatte, dann von ihr, wenn er sich je danach gesehnt hatte, eine Frau in seinen Armen zu halten, dann sie. Felicia lächelte.

Weitere Kostenlose Bücher