Sturmzeit
vergessen lassen. Seine Liebe war aufrichtig und wahr, das konnte Felicia sehen, als er vor den Altar trat.
Seine hellen Augen leuchteten wie stille Seen unter der Sonne. So unschuldig und vollkommen hat mich überhaupt noch niemand geliebt, dachte Felicia plötzlich, und das Unbehagen in ihr wurde so stark, daß sie sich rasch abwenden mußte. Benjamin deutete das als einen Versuch, ihre Rührung zu verbergen. Für ihn bedeutete dieser Tag den Beginn eines Märchens. Er verstand nichts von den Abgründen in den Menschen, am wenigsten von den Frauen. Er wußte nichts von ihren geheimen Schachzügen und glaubte, was er sah. Wenn Felicia ihn sanft anlächelte, dann war er überzeugt, ihr ganzes Wesen sei durchdrungen von Güte, die in ihrem Lächeln lag, und nie wäre er darauf gekommen, sie könne gerade in solchen Momenten denken: Wenn er doch nur eine Spur Männlichkeit in sich hätte! Wenn ich doch ein bißchen Achtung vor ihm haben könnte! Er ist ein lieber Kerl, aber zum Gähnen langweilig!
Schon bald nach der Heirat stellten sich zwei Probleme heraus, mit denen Benjamin nicht gerechnet hatte. Das erste war: Felicia hielt sich vorwiegend auf Lulinn auf, statt auf Skollna. Es geschah immer häufiger, daß sie abends von Lulinn aus anrief, um Benjamin mitzuteilen, sie bliebe die ganze Nacht.
»Es ist schon so dunkel und kalt draußen«, sagte sie, oder: »Laetitia geht es nicht sehr gut. Ich bleibe besser bei ihr.« Sie war in solchen Momenten sehr liebevoll, nannte Benjamin »Liebling« oder »Schatz«, aber er hatte trotzdem den Eindruck, dies sei nicht die übliche Art des Ehelebens. Mit äußerster Vorsicht tat er seinen Standpunkt kund. »Ich liebe dich doch, Felicia. Es macht mich traurig, wenn wir so wenig Zeit zusammen verbringen.«
»Ich liebe dich ja auch, Benjamin. Aber siehst du, ich bin in solcher Sorge um Lulinn. Du weißt ja, Onkel Victor...«
Ja, ja, er wußte. Onkel Victor machte der armen Felicia solchen Kummer. Er hatte sich deshalb auch sogleich bereit erklärt, Victors Schulden zu bezahlen, als Felicia ihn darum bat.
»Er stürzt uns sonst ins Unglück«, sagte sie, »und du kriegst das Geld bestimmt wieder.«
»Schon gut. Das hat Zeit. Und bitte ohne Zinsen. Ich möchte keine Geschäfte mit deiner Familie machen.«
Er hatte keine Ahnung von dem Dialog, der sich wenig später zwischen Felicia und Victor abspielte. »Hör zu«, sagte sie kalt,»ich habe hier einen Scheck von Benjamin, mit dem du deine Schulden begleichen kannst. Aber ich habe das für dich natürlich nicht aus Nächstenliebe arrangiert. Ich will Lulinn freihalten von Belastungen, und ich will, daß du das Gut nicht zum Verkauf anbietest. Ich habe hier deshalb eine Erklärung ausgearbeitet, die du unterschreiben wirst. Du verpflichtest dich darin, daß du Lulinn für die Dauer von fünf Jahren nicht verkaufen wirst - es sei denn, an Benjamin oder mich.«
»Soviel Geld habt ihr beide nicht!«
»In fünf Jahren vielleicht doch. Und so lange haben wir Zeit.«
»Das ist Erpressung!«
»Nein. Wenn du auf meine Bedingungen nicht eingehen willst, kannst du dir dein Geld ja auch bei der Bank leihen.«
»Die Bank...«, Victor stockte. Felicia lächelte. Sie wußte, keine Bank gab ihm mehr etwas.
»Ich könnte Lulinn auch gleich verkaufen«, meinte Victor frech, »und vom Erlös meine Schulden begleichen.«
»Ja, aber wo und wovon willst du dann leben? Du träumst von Berlin, nicht? Dort herrschen Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot. Berlin übersteht zur Zeit nur, wer wirklich clever ist - und wir wissen beide, daß man das von dir nicht sagen kann.«
Victor beugte sich über das Schriftstück. »Was heißt das hier?
Der Verwalter von Skollna kontrolliert auch Lulinn und stellt neue Arbeitskräfte ein? Und dafür bekommt ihr fünfundzwanzig«, er schnappte nach Luft, »fünfundzwanzig Prozent vom Gewinn? Ja, bist du wahnsinnig?«
»Nein, Benjamins Fuß auf Lulinn ist seine Sicherheit für das Darlehen, das er dir gibt. Aber du mußt ja nicht unterschreiben.«
Victor unterschrieb, fast erleichtert. Nicht nur, daß er die Last seiner Schulden los war, er brauchte auch keine Verantwortung für Lulinn mehr zu tragen. Natürlich war Felicia ein Biest, und es war eine Schande, wie dieses dreiundzwanzigjährige Gör versuchte, ihn aus dem Feld zu schlagen. Andererseits, das Blatt konnte sich auch wieder wenden.
Felicias zeitraubendes Engagement für Lulinn war also eines von Benjamins Problemen. Das zweite lag in jenem Teil
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