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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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wird es jetzt sein für immer! Ich werde Benjamins Kinder großziehen, und eines Tages werde ich selber nur noch flüstern und auf Zehenspitzen gehen, und während ich mit meiner Schwiegermutter Tee trinke, hechle ich die Nachbarn des ganzen Landkreises durch.
    Und dann, im Januar des neuen Jahres, traf ein Brief von Kat ein.
    »Ich kann nicht verstehen«, sagte Benjamin tief verletzt, »was du noch mit München und mit den Geschäften deines... äh, geschiedenen Mannes zu tun hast! Du lebst jetzt hier, als meine Frau, und du müßtest keine Sorge auf der Welt haben!«
    Felicia, die am Fenster stand und Kats Brief in der Hand hielt, drehte sich zu ihm um. »Kat bittet mich um Hilfe. Versteh das doch. Wir waren jahrelang sehr eng befreundet.«
    »Aber du kannst ihr doch gar nicht helfen! Sie schreibt, die Fabrik ihres Vaters wird langsam aufgekauft von diesem...«
    »Wolff. Tom Wolff.«
    »Ja, Wolff. Und - was will sie nun von dir? Mit diesem Menschen kannst du es doch gar nicht aufnehmen!«
    »Kat glaubt eben, ich könnte es. Benjamin, ihr Vater ist alt und sehr krank. Ihr Bruder ist verschwunden. Der Mann, den sie heiraten wollte, ist aus Frankreich nicht zurückgekommen. Sie ist völlig allein. Dieser Brief hier ist ein Hilferuf!« Es mußte Kat viel Überwindung gekostet haben, an Felicia zu schreiben. Die Dinge schienen tatsächlich schlimm zu stehen. Aber Felicia verschwieg, daß es nicht Edelmut war, was sie nach München trieb. Sie selbst klammerte sich an diesen Brief wie eine Ertrinkende an den Strohhalm, er war ihr Billett in die Freiheit, ihre Rückkehr ins Leben.
    Benjamin, der ihren Gewissenskampf zu verstehen glaubte, sagte: »Deine Freundin Kat kann doch zu uns kommen. Wir haben ein großes Haus. Sie wäre mir jederzeit willkommen.«
    »Sie möchte, daß ich ihr gegen Wolff helfe.«
    Benjamin sah sie geradezu verzweifelt an. Er konnte sie nicht begreifen. München - das lag ja am anderen Ende der Welt!
    »Deine Kinder. Du kannst sie nicht allein lassen.«
    »Sie sind ja nicht allein. Susanne bleibt hier, deine Mutter wird sich um sie kümmern. Und Belle kommt zu Großmutter nach Lulinn.«
    »Du... hast das alles schon arrangiert?«
    »Ja. Und es geht alles so, wie ich will.«
    Daran zweifelte Benjamin nicht. Er sah in Felicias Augen und erkannte ein hartes metallisches Glänzen darin. Unerwartet fiel ihm ein, was seine Mutter vor seiner Hochzeit zu ihm gesagt hatte: »Du täuschst dich in ihr. Bedenke immer, sie hatte schon einmal einen Mann, mit dem es nicht gutging, und so engelsrein sie dir auch erscheinen mag, sei sicher, sie ist nicht völlig unschuldig an der Scheidung. Sie wurde nicht einfach sitzengelassen. Sie wird ihr Geheimnis vor uns nie preisgeben, aber da gibt es eines, und es ist von der Sünde befleckt!«
    Benjamin gab nicht viel auf diese Worte, denn seine Mutter neigte zur Bigotterie und warf dauernd mit Begriffen wie
    »Sünde« und »Befleckung« um sich. Zum ersten Mal aber regte sich an diesem Tag leiser Zweifel in ihm. Wenn seine Mutter am Ende... Er machte einen letzten Vorstoß, und er versuchte dabei, die männliche Bestimmtheit an den Tag zu legen, von der er in Büchern gelesen hatte. »Ich möchte nicht, daß du gehst«, sagte er, »ich... ich verbiete es dir!«
    Sie tat ihm nicht einmal den Gefallen, wütend zu werden, sie lächelte nur. »Hast du schon mal was von der Emanzipation der Frau gehört?«
    Benjamin hatte davon gehört. Und er schwieg.

    Felicia reiste über Berlin, um ihre Mutter zu besuchen. Es war Februar, die Luft kalt und feucht, der Himmel grau, aber Felicia fühlte sich so lebendig, als habe sie Sekt getrunken. Sie hatte sich in Insterburg neue Kleider schneidern lassen, nach Mustern aus der Styl, und eines davon trug sie, als sie in Berlin ankam. Es war jadegrün, aus leichtem Wollstoff, und fiel geradegeschnitten bis zur Taille, die beinahe auf den Hüften saß; dort ging es über in einen ebenso gerade verlaufenden Rock bis nur eine Handbreit unter die Knie. Felicia hatte sich zunächst etwas schwer daran gewöhnt. Zum einen zeigte sie recht viel Bein, zum anderen gab dieses Kleid ihrer Figur eine völlig neue Silhouette. Die Taille existierte praktisch nicht mehr, der Busen wurde flach, die Hüften eckiger. Aber als sie in Berlin aus dem Zug stieg, sah sie, daß sie auf der Welle der Zeit schwamm. Die Frauen waren eckiger, in jeder Beziehung. Und in Berlin mehr als anderswo. Sie waren schöner denn je, und sie präsentierten ihre Körper viel freier;

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