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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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Unterganges heraus«, oder »Das Leben besteht aus brutalen, hundsgemeinen Scherzen«.
    Dazwischen war noch immer der Nachklang revolutionärer Lust zu spüren. Martins bester Freund, ein bleicher blonder Musikstudent, der weder einen Blick noch ein Wort an Nicola verschwendete, vertrat die Theorie, daß Lust am Zerstören eine schöpferische Lust sei, und es verging kein Abend, an dem er nicht den von ihm vergötterten Gustav Landauer mit seinen Worten an die Dichter von 1918 zitierte: »Wir brauchen den Frühling, den Rausch, die Tollheit, wir brauchen wieder und wieder und wieder die Revolution, wir brauchen den Dichter!«
    Wenn Nicola nach solchen Nächten heimkam, drehte sich ihr der Kopf, und oft weinte sie sich in den Schlaf, weil sie sichausgeschlossen, dumm und unwissend fühlte. Morgens saß sie dann völlig übermüdet am Frühstückstisch, mit Ringen unter den Augen, und versuchte die besorgten Ermahnungen ihrer Cousine Felicia zu überhören.
    »Du siehst wirklich elend aus, Nicola. Du müßtest dringend wieder einmal eine Nacht durchschlafen.«
    Nicola war nur dankbar, daß Felicia mit ihren Modezeichnern so viel zu tun hatte, daß ihr weder Zeit noch Nerven blieben, anderer Leute Lebenswandel ernsthaft zu kontrollieren. Nicht auszudenken, wenn sie ihr den Umgang mit Martin verboten hätte. Sie brauchte ihn. War sie mit ihm allein, fühlte sie sich glücklich. So wie an diesem Augusttag, als sie Hand in Hand durch die Straßen liefen und die Sonne auf ihre Gesichter scheinen ließen. Nicola hoffte, Martin werde ihr jetzt keinen Vortrag über Ziele und Hintergründe der NSDAP halten, und er sagte auch nur: »Kommst du heute abend mit ins Bistro Latin?«
    Nicola seufzte. »Ich würde so gern einmal einen Abend mit dir allein verbringen. Wir könnten zusammen essen gehen. Warum müssen immer deine Freunde dabei sein? Sie mögen mich nicht.«
    »Natürlich mögen sie dich. Und sie würden dir auch zuhören, wenn du mal was sagen würdest. Du hast die russische Revolution miterlebt. Was meinst du, wie interessant es wäre, wenn du uns davon erzählen würdest!«
    »Ich weiß nicht, ob ich sagen könnte, was ihr hören wollt. Für euch ist die Revolution eine Göttin. Aber mir hat sie alles genommen, was ich hatte!«
    Martin sah sie ernst an, dann küßte er zum ersten Mal sacht ihre Lippen. »Schon gut«, sagte er, »heute abend gehen wir beide zusammen essen. Ganz allein.«
    Sie sah ihn strahlend an. Im gleichen Moment schraken sie beide zusammen, weil vollkommen unerwartet und schrill die Stimme eines Zeitungsverkäufers an ihre Ohren klang.
    »Extrablatt! Extrablatt! Erzberger von Rechtsradikalen ermordet! Reichspräsident verhängt den Ausnahmezustand!
    Erzberger ist tot!«
    Martin riß dem Verkäufer das Blatt geradezu aus der Hand. Er war ganz blaß geworden. »Das«, sagte er, »ist die Zeit, der wir jetzt entgegengehen.«

    Das Geschäft florierte. Dafür, daß Lombards Fabrik zu Anfang des Jahres dicht vor dem Bankrott gestanden hatte, war sie nun, im Dezember, erstaunlich erfolgreich. Das lag natürlich an Wolffs Finanzspritzen, da gab sich Felicia keinen Täuschungen hin.
    Ohne seine Mittel hätten sie die Produktion nie so schnell umstellen können.
    »Werden wir uns so viele Arbeiter leisten können?« hatte Felicia mißtrauisch gefragt, und Wolff hatte mahnend den Zeigefinger gehoben. »Das ist mein Bereich, in Ordnung? Ich regele das mit den Arbeitern und daß sie uns nicht zu teuer kommen, aber ich möchte keine Einmischung. Kein soziales Geschwätz. So fahren wir alle am besten.«
    »Ich habe das Gefühl, es sind nicht gerade saubere Praktiken, mit denen Sie uns zu sanieren versuchen!«
    »Sie können jederzeit aussteigen.«
    »Ich habe nicht gesagt, ich würde Ihre Praktiken nicht billigen. Aber es ist vielleicht am besten, Sie erzählen mir nichts davon.«
    Wolff grinste. »Klar. Sie sollen ja nachts noch ruhig schlafen können.«
    Manches sickerte natürlich doch durch und kam Felicia zu Ohren. Abgesehen davon, daß Wolff zu niedrige Löhne und keine Sozialabgaben zahlte, ließ er die Fabrikarbeiter viel mehr als acht Stunden am Tag arbeiten und trieb sie zu beinahe übermenschlicher Leistung an, indem er sie unter der latenten Angst vor Kündigung hielt. Ein paarmal hatte er bewiesen, daß er einen Arbeiter von einer Minute zur anderen auf die Straße setzen konnte, wenn er ihm nicht paßte, und angesichts steigender Arbeitslosigkeit und Inflation konnte das keiner riskieren.
    Er ist ein

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