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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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Teufel, dachte Felicia manchmal. Ihre Beziehung zu Wolff war von seltsamer Art. Sie mißtraute ihm ebensosehr wie er ihr, und wenn sich die Möglichkeit geboten hätte, sie hätte keinerlei Skrupel gehabt, ihn auszubooten und kopfüber in den Staub fallen zu lassen. Im übrigen wußte sie, daß er auch keine Skrupel gehabt hätte. Doch so wenig sie einander mochten, so konnten sie es doch miteinander aushalten, weil sie gleich stark waren und weil weder Wolff jemals Felicia noch Felica Wolff wirklich erschüttern konnte.
    Sie besaßen das gleiche Realitätsempfinden, den unsentimentalen, praktischen Sinn, die Entschlossenheit durchzusetzen, was sie durchsetzen wollten. Widerwillig und vorsichtig zollten sie einander ein gewisses Maß an Achtung. Felicia war hauptsächlich damit beschäftigt, Kontakte zu den großen Münchener Modegeschäften herzustellen und neue Kunden für ihre Kollektionen zu werben. Sie hatte nicht nur die schwierige Aufgabe, ihre Ware anzupreisen, sie mußte zusätzlich das Mißtrauen zerstreuen, das man Wolff von allen Seiten noch immer entgegenbrachte. Es war bekannt, daß er aus dem Krieg beachtliche Gewinne gezogen hatte und daß er nun seine Arbeiter mit einiger Rücksichtslosigkeit behandelte. Doch auf der anderen Seite standen seine erstklassige Produktion - und seine charmante Botschafterin.
    Auf dem gesellschaftlichen Parkett bewegte sich Felicia mit Leichtigkeit, außerdem sah sie hübsch aus, und was sie sagte, klang durchdacht und intelligent. Sie trug bunte Kleider aus weichen Stoffen, hauchdünne Strümpfe, zarte Schuhe und klirrenden Schmuck. Nie sah man ihr die durcharbeiteten Nächte und die Hektik eines jeden Tages an. Eisern überspielte sie Erschöpfung und Sorgen. Wer ihr begegnete, erlebte sie, wie sie sich gab: Ausgeruht, selbstsicher, erfolgreich und schön. Und wie sie lächeln konnte! Da in den oberen Etagen der Modewelt noch allein die Männer herrschten, spielte Felicia alle ihre Waffen aus. Jeder Wimpernschlag war berechnet. Dabei versäumte sie es nicht, immer wieder Sätze über ihre Vergangenheit einfließen zu lassen. Bald wußte jeder, daß sie Krankenschwester an der Ostfront gewesen war, daß die Russen sie geschnappt und ihren Vater erschossen hatten, daß sie Internierung und Revolution hatte erleben müssen. Die Herzen schmolzen reihenweise.
    Die junge, hübsche Frau - man mußte für sie tun, was man nur konnte. Sie bekam mehr Bestellungen als irgend jemand sonst, was ihr natürlich auch eine Unmenge Arbeit einbrachte. Dabei fühlte sie sich trotz aller Anstrengung glücklich. Das Leben hatte seine Geruhsamkeit verloren, und sie genoß es. Sie wurde zu zahlreichen Festen und Empfängen der Modehäuser eingeladen, lernte neue Menschen kennen, flirtete, lachte und trank Champagner. Wochenlang kam sie keine Nacht vor zwei Uhr ins Bett, saß aber bereits um sieben Uhr wieder am Frühstückstisch, trank starken, schwarzen Kaffee und schrieb dabei schon die ersten Briefe. Auch die kurzen Nachrichten an Benjamin. Er war der Wermutstropfen in ihrem Leben. Es verging keine Woche, da er ihr nicht geschrieben hätte, und mit der Zeit wurden seine Briefe immer anklagender. Einmal kam nur ein Foto von Susanne, aufgenommen an ihrem ersten Geburtstag, dazu eine kurze Notiz: »Damit du weißt, wie unser Kind aussieht!«
    Felicia, diesmal tatsächlich getroffen, antwortete noch am selben Abend.
    »Ich komme nach Berlin«, schrieb sie, »ein großes Modehaus dort ist interessiert an unseren Kreationen, von denen einige in Styl abgebildet waren. Ich würde mich so freuen, dich, Susanne und Belle dort treffen zu können. Komm mit den beiden nach Berlin, bitte! Wir können alle bei meiner Mutter wohnen und ein paar schöne Tage zusammen verbringen!«
    Ein paar Tage... Ihr war bewußt, daß das fast provokant klingen mußte. Sie räumte ihrem Mann und ihren Kindern einen Termin ein wie jedem anderen Geschäftspartner auch. Dabei hatten sie sicher gehofft, sie werde Weihnachten nach Hause kommen. Aber es gab einen Empfang in München, mit lauter wichtigen Leuten. Felicia legte den Brief zur Seite und trat an ihren Kleiderschrank. Während sie überlegte, was sie zu dem Fest anziehen sollte - es mußte etwas Ausgefallenes, Großartiges sein -, hörte sie unten die Haustür gehen. Es mußte Nicola sein, die heimkam. Felicia sah auf die Uhr. Kurz nach Mitternacht. Und Nicola mußte morgen früh zur Schule. Sie seufzte. Sie hatte das Gefühl, ihre Pflichten auf allzu vielen Gebieten

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