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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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dessen Gesicht über dem schwarzen Rollkragenpullover gespenstisch bleich schien, blieb stehen.
    »Warum? Was wirft man ihr vor?«
    »Ja, das ist das Komplizierte an Geschichten dieser Art. Einen richtigen Verbrecher zu verteidigen, ist für einen Anwalt nicht schwer. Es geht darum, seine Unschuld zu beweisen, und entweder man schafft es, oder man schafft es nicht. In diesen politischen Fällen aber...«
    »Ja?«
    »Nun«, der Anwalt formulierte sehr vorsichtig und zögernd,»ich würde sagen, in solchen Fällen hat der Anwalt eher eine Alibifunktion. Es geht nicht um die Wahrheitsfindung. Es steht von vorneherein fest, daß sie verurteilt wird. Bestimmte Leute... sind interessiert daran, daß sie verschwindet.«
    Maksim stützte sich schwer auf den Tisch, neigte sich dicht zu dem anderen hin. »Weshalb ausgerechnet sie?«
    »Dafür gibt es verschiedene Gründe. Manchen paßt sie nicht, weil sie absolut unbestechlich ist. Andere fürchten ihren Ehrgeiz. In jedem System tobt das Gerangel um die besten Plätze, und Mascha befindet sich mitten im Strudel. Das überstehen wenige. Und dann ist da noch...« Er brach ab. Maksim sah ihn aus schmalen Augen an. »Was?«
    »Es hängt mit Ihnen zusammen. Sie haben sich von der Partei losgesagt.«
    »Dann sollen sie mich verhaften.«
    »Sie stören niemanden. So hart das vielleicht klingt. Sie sind das klassische Beispiel für die sogenannte innere Emigration. Zu viele Verhaftungen schaden dem Ansehen des neuen Regimes; mit Leuten wie Ihnen, die still vor sich hinleiden, wird man sich also nicht abgeben. Aber Mascha Iwanowna - wenn sie kippt, dann ist sie eine Gefahr. Weil sie ein Mensch der Tat ist, immer.«
    In einer hilflosen Bewegung strich sich Maksim über die rotgeränderten Augen. Seine Stimme klang gepreßt, als er fragte: »Was, glauben Sie, wird mit ihr geschehen?«
    »Für die politisch Unbequemen hat es in diesem Land immer nur einen Weg gegeben. Sibirien.«

    Mauern, kalt und dunkel, eisiger Zementfußboden, ein Tisch, seitlich an den Wänden entlang hochgestellte Betten. Am Ende des Raumes ein Fetzen Himmel, von Gitterstäben unterteilt. Es war so kalt, daß man nicht stillsitzen konnte. Zu lesen gab es nurdie obszönen Sprüche an den Wänden, die Generationen von Gefangenen dort hinterlassen hatten. Das war das Gefängnis von Butyrki.
    Die fünfzehn Frauen, die sich eine der Zellen im zweiten Stock teilten, sahen im trüben Licht des verdämmernden Wintertages bleich und krank aus. Sie hatten hohle Wangen, entzündete Augen und strähniges Haar. Die unzureichende Ernährung und die Tatsache, daß es seit vielen Monaten nichts mehr gab, was Vitamine enthalten hätte, ließ bei vielen die Haut im Gesicht aufspringen und die Zähne aus dem Mund herausfaulen. Eine hatte Husten, und ihr Anblick, wie sie röchelnd in der Ecke lag und blutigen Schleim erbrach, ließ die anderen sich abwenden. Es war eine buntgemischte Gesellschaft: Eine Diebin, eine Prostituierte und eine Kindsmörderin befanden sich ebenso darunter wie die Frau eines einstigen Offiziers, eine Baronin und eine ehemalige Lehrerin aus Petrograd. Und Mascha.
    Mascha, seit einer Woche in Haft, sah gegenüber den anderen Frauen geradezu gesund aus. Sie fror erbärmlich, aber sie brachte noch die Energie auf, sich auf den Füßen zu halten und in der Zelle hin und her zu gehen, dabei immer wieder warmen Atem in ihre Hände zu blasen. Einige andere kauerten auf dem Boden, dicht aneinandergeschmiegt. Zu Anfang hatte Mascha versucht sie aufzurichten. »Ihr könnt euch nicht auf den Zement setzen. Ihr werdet krank!«
    Die Prostituierte, ein junges Mädchen mit vorstehenden Zähnen und dunklen Mongolenaugen, starrte sie an. »Hör zu, Schwester, wir werden nicht nur krank, wir werden sterben. Das ist eine verdammte Scheiße, aber da kommen wir nicht drum herum.«
    Heute, an diesem Tag, hatte Mascha ihre letzte Gerichtsverhandlung gehabt. Als sie in die Zelle zurückkehrte, sprach niemand davon. Die meisten wollten danach ihre Ruhe.
    Nur eine Frau trat auf Mascha zu. Es war Elisabeth, Frau eines einstigen Großgrundbesitzers, die in den Tagen der Oktoberrevolution verhaftet worden war. Ausgerechnet sie hatte vom ersten Tag an Freundschaft mit Mascha geschlossen. Sie hatte ihr erzählt, weshalb sie in Butyrki saß, und als sie Mascha dann erwartungsvoll ansah, erklärte die: »Ich bin Mitglied der bolschewistischen Partei.« Elisabeth zuckte, dann lächelte sie etwas bitter und meinte ironisch: »Aber darauf kommt

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