Sturmzeit
es nun wohl auch nicht mehr an!« Seitdem verband die beiden Frauen eine schwierige, spannungsreiche, aber unverbrüchliche Freundschaft.
»Wie lautet dein Urteil?« fragte Elisabeth leise. »Falls du darüber reden willst.«
Mascha blickte zur Seite. »Arbeitslager. Sibirien. Sieben Jahre.«
»Sieben Jahre! Guter Gott, wofür?«
»Kollaboration mit den Feinden des Sozialismus.«
»Du?«
»Im Leben eines jeden Menschen kannst du Dreck finden«, erklärte Mascha, »und wenn du es dann noch ein bißchen verdrehst, kannst du eine Anklage daraus machen.«
»Die eigenen Genossen...«
»Ja. Die eigenen Genossen. Eine grausame, aber unumgängliche Logik. Ich habe immer die Theorie verfochten, daß sich eine Revolution vom Blut ernähren muß.«
»Von ihrem eigenen?«
»Wenn kein anderes da ist... auch von ihrem eigenen.«
Mascha fühlte sich unendlich müde und leer, und ihr ging auf, daß sie diese Müdigkeit erfüllt hatte seit den Tagen, da die Bolschewisten die Macht übernommen hatten. Ihre Kraft war verbraucht, lange schon.
Während der ungezählten Stunden, in denen sie verhört wurde, hatte sie versucht, jede Bitterkeit in sich zu ersticken. Sie wollte Maksim keine Schuld zuweisen; beharrlich sagte sie sich, daß er sein Leben gelebt habe und sie ihres, und daß die Verkettung ihrer beider Leben Schicksal sei, aber niemals Schuld. Doch nun, in diesem einen Augenblick, als für Sekunden die Erinnerung aufblitzte an jene Zeit, da sie jung und stark gewesen war, während sie gleichzeitig ihrer unendlichen Erschöpfung nicht Herr werden konnte, da flammte der Haß in ihr auf, so gewaltig wie der Haß, der sie einst durch die Revolution getragen hatte. Halb erstickt vor Zorn dachte sie: Er, Maksim, er hat mir alles genommen! Er hat mich runtergezogen in diesen elenden Sumpf aus Zweifeln und Skrupeln und Anklagen. Ich bin keine gute Sozialistin mehr gewesen zum Schluß.
Von draußen machte sich jemand an der Tür zu schaffen. Die Aufseherin erschien, eine dicke, ältliche Frau mit Watschelgang und asthmatischem Atem. »Besuch für Mascha Iwanowna«, meldete sie keuchend, »Maksim Marakow. Wartet im Besucherzimmer.«
Mascha wandte schwerfällig den Kopf. »Was?«
»Besuch. Sie haben die Erlaubnis, ihn eine Viertelstunde zu sprechen.«
Mascha hatte das Gefühl, als flimmerten schwarze Punkte vor ihren Augen. »Nein«, sagte sie mit klirrender Stimme. Elisabeth gab einen Laut der Verwunderung von sich. Die Aufseherin runzelte die Stirn. »Wie?«
»Ich möchte ihn nicht sehen. Ich kann nicht.«
»Na, hören Sie! Ich weiß nicht, ob Sie noch mal die Erlaubnis kriegen. Überlegen Sie sich das.«
»Ich möchte es nicht. Aus ganz bestimmten Gründen.«
Die Aufseherin zuckte mit den Schultern. »Wie Sie wollen. Aber da wo Sie jetzt hinkommen, da sehen Sie verdammt lange keinen anständigen Kerl mehr, das kann ich Ihnen versprechen.«
»Ich bleibe dabei.«
»Na gut!« Die Aufseherin wandte sich zum Gehen. Als sie in der Tür stand, sagte Mascha plötzlich: »Würden Sie ihm etwas von mir ausrichten?«
»Ist nicht meine Aufgabe. Aber gut, was soll ich sagen?« Die Aufseherin hatte einst selber in Butyrki gesessen, war von den Bolschewisten befreit und in ihren jetzigen Posten eingesetzt worden. Sie empfand daher eine gewisse Sympathie für Mascha.
»Sagen Sie, ich bin ihm nicht böse«, bat Mascha, »aber daß wir beide hätten früher erkennen sollen, daß wir einander quälen.«
»Ah ja. Sie sind ihm nicht böse, aber er hat Sie immer gequält«, wiederholte die Aufseherin wie eine folgsame Schülerin. Mascha wollte widersprechen, doch sie schluckte es hinunter. »Na ja, so ungefähr können Sie's ihm sagen.«
»Mach ich!« Die Alte verließ die Zelle. Ehe sie die Tür wieder schließen konnte, sagte Mascha: »Oh, noch etwas, bitte!«
»Herrgott! Wie soll ich mir das alles merken? Was denn?«
»Sagen Sie ihm, ich werde trotz allem immer, mein Leben lang, an den Sozialismus glauben.«
5
Als Felicia das Berliner Hotel Adlon verließ, hatte sie einen leichten Schwips und fühlte sich nicht ganz sicher auf den Beinen. Sie hatte mit dem Direktor des Modehauses Cecile Champagner getrunken und ein oder zwei Gläser zuviel erwischt. Aber in der Tasche ihres Mantels knisterte es: der Vertrag, den sie mit ihm geschlossen hatte und der Cecile für ein Jahr zu einem ihrer besten Kunden machte.
Unter den Linden herrschte reger Verkehr. Auf dem grünen Streifen zwischen den Fahrspuren waren Stühle aufgestellt
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