Sturmzeit
hübschen Hut nicht tragen?«
»Ich sehe damit aus wie ein kleines Schulmädchen!«
»Du bist ein Schulmädchen«, entgegnete Felicia, die den Ernst der Lage nicht erfaßte, »und du siehst ganz entzückend aus. Martin Elias findet das sicher auch!«
Die Erwähnung von Martin reichte aus, die Schleusen zu offnen. Nicola schluchzte, als sei das Ende über sie hereingebrochen. »Es ist alles aus. Martin liebt mich nicht mehr!«
»O je«, sagte Felicia, kam jedoch nicht zu mehr, da sich Wolffs Sekretärin endlich meldete.
»Ich möchte sofort Herrn Wolff sprechen«, verlangte sie.
»Ich glaube, er liebt Sara«, weinte Nicola, »weil sie älter ist und sich für die Arbeiterkinder aufopfert. Ich bin nur ein dummes kleines Schulmädchen.«
Wolffs Sekretärin bedauerte gleichzeitig, Felicia nicht verbinden zu können, da Wolff ausdrücklich angeordnet hatte, niemanden vorzulassen. »Erst auf seinem Ball ist er wieder zu erreichen. Sie haben doch sicher eine Einladung erhalten?«
»Ich will nicht mit ihm tanzen, ich will mit ihm sprechen, und zwar sofort!«
»Es tut mir leid.«
»Verdammt noch mal, ich glaube, er ist übergeschnappt!«schrie Felicia.
»Sprechen Sie noch?« erkundigte sich das Fräulein vom Amt pikiert.
»Nein!« Felicia schmetterte den Hörer auf die Gabel. »Es ist nicht zu glauben! Er will mich zwingen, zu diesem Fest zu kommen, was immer er auch damit bezweckt. Weißt du, was er getan hat? Er hat die von mir geschlossenen Verträge nicht erfüllt, hat die drohende Klage der Geschädigten abgewendet, indem er ihnen meine Aktien überlassen hat, und hat sie dann von ihnen zurückgekauft. Aber natürlich ist das alles nicht im mindesten rechtmäßig, und ich werde ihm eine Klage anhängen, die ihn ruiniert. Ich werde...« Mit finsterer Miene brütete sie vor sich hin, dann fiel ihr Blick auf Nicolas verzweifeltes Gesicht.
»O Nicola, mein Liebes, entschuldige! Du hast ganz andere Sorgen, nicht? Martin liebt Sara, meinst du? Das ist bestimmt Unsinn!«
»Nein. Ich bilde es mir nicht ein. Er bewundert sie, weil sie als Krankenschwester im Krieg so umwerfend gewesen sein muß, und jetzt kann er mit ihr immer über Wohlfahrt, soziale Sicherheit und Gewerkschaften reden - und ich verstehe nichts davon. Nur...« ihre Augen trafen im Spiegel auf ihr verwundertes, junges Gesicht mit den regelmäßigen Zügen, den zarten, hohen Wangenknochen und den dunklen Locken über der Stirn, »ich bin doch viel hübscher als Sara!«
»Ach, Nicola...«
»Meinst du, es ist, weil Sara jüdisch ist wie er?«
»Ein bißchen hängt es wohl damit zusammen. Aber sie ist auch... die Antwort auf das, was ihn bewegt.« Felicia seufzte und dachte an eigene Erfahrungen zurück. »Diese
Weltverbesserer sind ganz seltsame Menschen, weißt du.«
»Ich glaube, ich gehe heute doch nicht in die Schule«, sagte Nicola trostlos, »ich könnte mich auf nichts konzentrieren. Mein Leben ist leer und sinnlos.«
Felicia ahnte, daß Tante Belle von ihren Erziehungsmethoden nicht entzückt wäre, aber sie nickte trotzdem bereitwillig.
»In Ordnung. Du kannst mich begleiten, ich will ein Kleid für Wolffs Frühlingsball kaufen. Ich muß... absolut phantastisch aussehen!«
Jede Herausforderung hatte sie elektrisiert. Die Brisanz eines Problems wirbelte ihre Gedanken auf, sensibilisierte sie, machte sie wach und aufmerksam. Sie war entschlossen, jede Waffe zu nutzen, die ihr zur Verfügung stand. Sie wußte, daß Wolff sie entnerven wollte, indem er sich nicht sprechen ließ, und sie war nicht gewillt, ihm auf dem Ball das Bild einer eingeschüchtertenFrau zu bieten.
Das Kleid, das sie zusammen mit Nicola kaufte, war aus schwarzem Crêpe de Chine, an den Schultern von dünnen Trägern gehalten und so tief ausgeschnitten, daß es keine unkontrollierten Bewegungen erlaubte. Es fiel nahezu durchsichtig bis zu den Hüften hinab, war dort mit einer Schärpe gerafft und endete in verschieden langen Falten auf den Knöcheln. An der einen Schulter steckte eine große dunkelgrüne Rose aus Samt, die Strümpfe, die Felicia dazu tragen wollte, waren aus schwarzer Spitze. Sie erstand lange dunkelgrüne Samthandschuhe, die bis über die Ellbogen reichten, und ein grünes Stirnband, das mit Straßsteinen bestickt war. Nicola vergaß vor lauter Bewunderung fast ihren Kummer.
»Du siehst auf einmal meiner Mutter so ähnlich«, sagte sie während der Anprobe, und Felicia, die sich herausfordernd lächelnd vor dem Spiegel drehte, fand plötzlich auch,
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