Sturmzeit
Lombard parkte soeben vor dem Haus. Alex stieg aus und öffnete Patty Callaghan die Beifahrertür. Nebeneinander kamen sie auf das Haus zu. Callaghan ließ die Vorhänge fallen und lächelte. Er sah es gern, wenn Patty mit Alex ausging. Sie war seine einzige Tochter, gerade erst siebzehn Jahre alt, ein lebhaftes, naives Kind, für das ein älterer Mann sicher besser geeignet wäre als ein junger. Und einer wie Lombard schon sowieso. Ein cleverer Kopf mit gesunden, realistischen Instinkten, sehr gut aussehend und sicher kein Heiliger, aber inzwischen so weit gesättigt, daß Frauen ihn nicht mehr einfach nur durch ihr bloßes Frausein reizen konnten. Callaghan hätte nichts gegen eine Heirat der beiden einzuwenden gehabt, im Gegenteil, sie hätte wunderbar in seine Pläne gepaßt. Alex wäre als Schwiegersohn dauerhaft an den Verlag gebunden gewesen, und er, Callaghan, hätte sich beruhigt auf seinen Landsitz nach Kalifornien zurückziehen können. Allem Anschein nach entwickelten sich die Dinge nach seinen Vorstellungen. Gutgelaunt trat er in die Eingangshalle.
»Kommen Sie noch auf einen Schluck herein, Lombard!« rief er Alex zu, der sich an der Haustür von Patty verabschieden wollte. Patty wirbelte herum. »Hallo, Dad! Wir waren in einem Musical. Und wir waren essen, auf einem Schiff im Hafen. Es war absolut phantastisch!«
Callaghan strich ihr die Haare aus der Stirn und lächelte Alex über ihren Kopf hinweg zu. Ist sie nicht entzückend? fragte sein Blick. Alex erwiderte das Lächeln und nickte. Natürlich war sie entzückend, bildhübsch und faszinierend jung. Es machte ihm Spaß, mit ihr auszugehen, ihr lebhaftes, begeistertes Gesicht neben sich im Auto zu betrachten, und es amüsierte ihn, wenn sie sich mit halb bewußter, halb unbewußter Raffinesse an ihn schmiegte und den Kopf hob, daß ihre Lippen dicht an seinen waren. Er wußte, worauf Callaghan wartete.
»Patty, du siehst müde aus, du gehst schlafen«, bestimmte dieser jetzt, »Alex, kommen Sie doch bitte mit in die Bibliothek!«
Patty küßte Alex leicht auf die Wange, ehe sie verschwand. Callaghan schloß die Tür hinter sich und seinem Gast und schenkte zwei Gläser Whisky ein. »Patty mag Sie sehr«, sagte er beiläufig.
»Oh, ich mag sie auch sehr«, erwiderte Alex, »sie ist ein zauberhaftes Mädchen.«
Callaghan sah ihn abwartend an, aber Alex trank nur schweigend. Callaghan fuhr fort: »Sie sind sehr ernst in der letzten Zeit, Alex. Irgend etwas geht Ihnen im Kopf herum.«
Alex lachte. »Ich bin siebenundvierzig geworden in diesem Jahr. Es war wie ein Einschnitt für mich. Auf einmal ist mir bewußt geworden, daß ich älter werde, und in diesem Bewußtsein fängt man wahrscheinlich immer an, anders über das Leben zu denken.«
»Selbstzweifel? Bei Ihnen?«
»Ein bißchen. Ein bißchen Unsicherheit, ob ich mein Leben richtig gelebt habe.«
»Mein Lieber, ich bitte Sie! Sie sind ein reicher Mann. Sie haben alles, was Sie sich nur wünschen können. Einfluß, Geld, Freunde, ein schönes Haus am Riverside Park, teure Autos, und die Frauen fallen Ihnen nur so zu! Wo liegt Ihr Problem?«
Alex, der von dem Thema ablenken wollte, sagteausweichend: »Apropos Geld! Ich hatte ein Gespräch mit unserer Finanzabteilung. Kaufen wir weiter Aktien?«
Callaghan starrte in die Flammen des Kaminfeuers. Bedächtig sagte er: »Im Gegenteil, Alex, im Gegenteil. Ganz vorsichtig und diskret fangen wir an, Aktien abzustoßen. Unauffällig.«
»Aber... alle Welt kauft Aktien!«
»Eben. Das gerade stimmt mich ja so nachdenklich. Auf dem Geldmarkt, Alex, bin ich ein alter Hase, und wenn ich eines im Laufe meines Lebens gelernt habe, dann das: Auf einen solchen Boom, wie wir ihn im Moment erleben, kann nur ein Absturz folgen, und der wird in die allertiefsten Tiefen führen. Das klare Gesetz von Aufstieg und Fall. Jeder kauft Aktien? Ja, natürlich kauft jeder Aktien. Nichts ist schließlich leichter als das. Zehn, zwanzig Prozent Anzahlung, den Rest auf Kredit, wunderbar, und so schaukelt sich dieses Wunder immer höher. Nun - und was wird passieren?«
Alex hatte aufmerksam zugehört. »Ich verstehe«, sagte er langsam, »Sie meinen, was wird passieren, wenn die Börsenmakler plötzlich anfangen, die Kredite einzutreiben?«
»Was sie tun werden, in nicht allzu ferner Zeit. Seit 1923 sind die Kurse auf das Dreifache ihres Wertes angestiegen, aber jedem muß klar sein, daß ein Höhepunkt auch irgendwann einmal überschritten ist. Wenn ein solches
Weitere Kostenlose Bücher