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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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über den Raum, verwischten alle Konturen, ließen jedes Lachen gedämpfter, Stimmen geheimnisvoller erscheinen. Kerzen flammten auf. Felicia, die eigenen Gedanken nachhing, fischte in ihrer Handtasche nach Zigaretten. Der Mann neben ihr, der sich Rudolfo nannte, nahm seine eigene, kaum angerauchte Zigarette aus dem Mund und reichte sie ihr.
    »Nimm die. Dann geht's dir besser.«
    »Hör auf mit dem Unsinn!« befahl Maksim ärgerlich. Jetzt wurde Felicia natürlich hellhörig. »Was ist das denn?«
    »Dieser ganz und gar gewissenlose Mensch versucht gerade, dir Marihuana anzudrehen«, erklärte Maksim grinsend.
    »Du kennst das Zeug doch, oder?« fragte Rudolfo. »Auch in deinen Kreisen ist das zur Zeit Mode!«
    Felicia hatte davon gehört, es selber aber nie versucht. Auf einmal reizte es sie, um Maksim zu provozieren vor allem. Sie nahm Rudolfo die Zigarette aus der Hand und rauchte hastig ein paar Züge. Im ersten Moment wurde ihr so schwindelig, daß sie sich am Tisch festhalten mußte, um nicht vom Stuhl zu fallen. Der Raum und die Menschen wirbelten vor ihren Augen, das Stimmengewirr schwoll an, um gleich darauf zu einem kaum hörbaren Hintergrundgeräusch zu verebben.
    »Hoppla«, sagte sie verwirrt. Doch Minuten später verflog der Schwindel. Müdigkeit und Überdruß waren wie weggeblasen, ein Gefühl ungeheurer Leichtigkeit durchschwemmte sie, fast so, als könne sie sich jeden Moment vom Erdboden lösen und sorglos entschweben. Sie breitete beide Arme aus und lachte.
    »Maksim, mach das auch mal! Es ist das Beste, was ich kenne!«
    »Ich weiß«, sagte Maksim und griff nach der Zigarette.Gemeinsam rauchten sie sie zu Ende. Rudolfo sah ihnen aus glasigen Augen zu. »Das wird heute die Nacht aller Nächte für euch!« prophezeite er. »Das Zeug wirkt Wunder!«
    Felicia konnte diese Worte nicht einmal peinlich finden. Es existierten ohnehin keine unangenehmen Empfindungen mehr. Sie hielt Maksims Hand, die warm und ruhig war, und sah in seinen Augen, daß es ihm ging wie ihr.
    »Gehen wir?« fragte er. Seine Stimme klang samtig und zärtlich, sehr jung, als habe die Zeit sich zurückgedreht. Felicia stand auf. Ihre Augen sprühten vor Lebenslust. Es war Nacht, die Lichter von Berlin gingen an, und sie war mittendrin.
    »Ja«, sagte sie, »laß uns gehen!«

    An dem Morgen, als er nach Paris reisen wollte, um sich dort mit Felicia zu treffen, fand Tom Wolff seine Frau zum ersten Mal in volltrunkenem Zustand. Daß sie manchmal aus Langeweile zuviel trank, wußte er, aber bislang hatte sie immer noch ins Bett gefunden. Diesmal mußte sie sich hemmungslos über jeden Tropfen Alkohol hergemacht haben, dessen sie habhaft werden konnte. Wolff stolperte buchstäblich über sie. Sie lag gleich hinter der Tür in der Bibliothek. Eine Woge von Alkoholdunst schlug ihm entgegen.
    »Lieber Gott, Kat!« Ängstlich forschte er in ihrem Gesicht, denn sie atmete nur noch flach. Wahrscheinlich hatte sie eine handfeste Alkoholvergiftung. Er hob sie auf und bettete sie auf das Sofa, damit nicht nach und nach die ganze Dienerschaft über sie fiele wie über einen zerknäulten Schuhabstreifer. Dann telefonierte er mit dem Arzt.
    Der Arzt diagnostizierte eine Alkoholvergiftung. Er flößte Kat ein Mittel ein, auf das hin sie erbrechen mußte, und sagte Wolff, er möge dafür sorgen, daß sie den ganzen Tag über viel Wasser trinke. »Hat Ihre Frau Probleme?« erkundigte er sich. Wolff schüttelte den Kopf. »Nein, nein«, entgegnete er leichthin, »sie hat die Nacht durch nur ein bißchen wild gefeiert. Passiert ja jedem mal!«
    Der Arzt nickte nur halb überzeugt, dann verabschiedete er sich. Wolff kniete neben dem Sofa nieder und betrachtete Kats blasses Gesicht. Sie atmete jetzt ruhiger. Aber er bemerkte, was ihm lange entgangen war: ein paar feine Fältchen um den Mund, blaßblaue Schatten um die Augen, die abgemagerten Wangenknochen, die dem einst runden Gesicht seine Lieblichkeit nahmen.
    »Ich brauche dich doch, Kat«, flüsterte er, »vielleicht bist du das einzige, was ich überhaupt je gebraucht habe. Und das einzige, was zählt.« Wäre sie bei Bewußtsein gewesen, er hätte nie so mit ihr gesprochen. Er küßte sacht ihre kühlen Lippen, ehe er aufstand und das Zimmer verließ.
    In Paris traf er eine überraschend gut gelaunte Felicia. Sie war noch magerer geworden, hatte sich die Haare inzwischen so kurz schneiden lassen wie ein Mann und trug ein Band aus blauer Seide um die Stirn, das seitlich von Perlen

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