Sturmzeit
gerüschter Himmel, vor den Fenstern hingen nachtblaue Vorhänge, die mit goldenen Sternen bestickt waren, auf weißen, flauschigen Kissen saßen große Porzellanpuppen. Das Zimmer war wie Patty, und Patty war wie das Zimmer. Alex sah sich amüsiert um, dann setzte er sich auf den Bettrand.
»Patty, wein doch nicht. Wir bleiben Freunde für immer, ja?«
Statt einer Antwort richtete sie sich auf, legte beide Arme um ihn und weinte an seiner Schulter weiter. Er ließ sie gewähren, bis ihre Tränen versiegten und sie nur noch stoßweise schniefte.
»Wer ist diese Frau?« fragte sie mit feiner Intuition. »Was ist so besonders an ihr, daß du dich zehn Jahre lang nach ihr sehnst und am Ende zu ihr zurückkehrst?«
»Es gibt keine Frau«, entgegnete Alex heftig, aber unwillkürlich drängte sich ihm das Bild eines Mädchens mit kühlen, grauen Augen auf, ein krasser Gegensatz zu diesem Sternenhimmelzimmer und seiner blonden Bewohnerin.
»Was mich forttreibt, ist dieses Gefühl des Überdrusses - zuviel Geld, zuviel Champagner, zu schöne Autos und zu oberflächliche Menschen. Aus Deutschland bin ich damals vor dem Ende meiner Welt davongelaufen, vor den Bildern, die ich im Krieg gesehen habe, vor dem Elend der Leute, vor dem großen Zusammenbruch. Aber hin und wieder muß man vielleicht zu seinen Wurzeln zurückkehren.«
Patty sah ihn verständnislos an. »Aber du hast hier alles, was du willst! Geld, Ansehen, Freunde, ein gutes Leben. Du hast Amerika! Weshalb mußt du in das arme kleine Deutschland gehen, das einen großen Krieg angefangen und ihn jämmerlich verloren hat? Du hast selbst einmal gesagt, daß du die Deutschen nicht verstehst und dich nicht deutsch fühlst! Was bindet dich noch an dieses Land?«
Er lächelte, verspottete sich selbst dabei. »Nichts«, entgegnete er, »nur - es ist meine Heimat.«
»So ein Unsinn!«
»Nenn es Unsinn, wenn du magst. Vielleicht ist es das auch. Aber ich«, er stand auf und deutete zum Abschied eine nachlässige Verbeugung an, »ich geh' trotzdem. Einfach mal nachsehen, wen ich noch wiederfinde von der alten Garde!«
Er schlenderte zur Tür hinaus. Patty rappelte sich auf und lief ihm nach. Sie blieb auf der Galerie stehen und sah zu, wie er die Treppe hinunterging, in der Halle nach seinem Hut griff.
»Mein Vater wird dich nicht gehen lassen!« rief sie ihm nach.
»Nie und nimmer!«
»Aber Kind!« Er drehte sich noch einmal um. »Glaubst du wirklich, daß ich ihn um Erlaubnis bitte?«
Die Haustür fiel hinter ihm zu. Patty starrte sie an, ein Schluchzen stieg in ihrer Kehle auf.
Du kommst zurück, dachte sie wild, du findest deine Ruhe drüben ebensowenig wie hier. Diese Frau, wer immer sie ist, hat dich einmal vertrieben, und sie wird es wieder tun. Du kommst zurück!
Martin stand am Fenster der düsteren Wohnung in der Hohenzollernstraße und starrte hinaus auf die dunkle Straße. Es war spät; vereinzelt hasteten noch Passanten ihren Wohnungen zu. Es regnete leicht, Novemberregen umwogte die Straßenlaternen.
»Was ist?« fragte Sara. »Warum stehst du im Dunkeln?« Sie hatte unbemerkt das Zimmer betreten und kam heran. Martin ahnte sie mehr, als daß er sie sah: ihre schmale, etwas knochige Gestalt, das geblümte Baumwollkleid, die glatten, braunen Haare. Er tastete nach ihrer Hand.
»Ich habe vor einer halben Stunde meinen Roman abgeschlossen«, sagte er.
»Oh, wirklich?« Sara wußte, daß er gearbeitet hatte wie ein Besessener, nächtelang hatte seine uralte Schreibmaschine geklappert, an manchen Wochenenden war er von Freitag bis Sonntag überhaupt nicht ins Bett gekommen. Manchmal war Sara aufgestanden und hatte seine gebeugte Gestalt am Schreibtisch betrachtet.
»Solltest du nicht doch etwas schlafen?« hatte sie gefragt, und er hatte, ohne aufzusehen, geantwortet: »Ich komme gleich. Wie spät ist es denn?«
»Vier Uhr morgens.«
»Dann lohnt es sich nicht mehr. Mach mir doch bitte einenKaffee, ja?«
Nun also war es vorbei. Und so sehr sie seinen künstlerischen Ambitionen Tribut zollte, der erste Gedanke, der Sara kam, war: Gott sei Dank, nun schreibt er vielleicht wieder für eine Zeitung, und wir kriegen ein bißchen Geld!
Sie hatte ihn mit diesem Problem nicht belasten wollen, denn sie dachte, Geldsorgen seien der Tod der Kreativität, aber die Probleme fingen an, sie zu zermürben. Der größte Teil ihres Gehaltes ging für die Miete drauf, ab dem zwanzigsten eines jeden Monats mußte sie beim Kaufmann anschreiben lassen, und ohne die
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