Sturmzeit
Hände gefallen. Es gab ein paar äußerst energische Damen in München, die sich mit ganzem Einsatz der Heimatfront widmeten, und es gab Leute, die scherzhaft behaupteten, ohne das unermüdliche Wirken dieser weiblichen Generäle läge Deutschland bei weitem nicht so gut im Rennen. Im Februar hatte die masurische Winterschlacht die Russen endgültig von deutschem Boden vertrieben - ein Gedanke, der Felicia ein wenig von ihrem Seelenfrieden zurückgab, dachte sie doch gerade im Frühjahr besonders heftig und sehnsüchtig an Lulinn: Die Kirschbäume im Obstgarten blühen, die Wiesen sind hellgrün und gesprenkelt mit kleinen weißen Blüten. Die Sonne steigt schon, ein kühler Wind weht, der nicht lau ist und keine Kopfschmerzen macht wie der in München, er ist über die Seen und Wälder von Masuren gestrichen oder über die salzigen Wellen der Ostsee, er ist frisch und klar.
Und gerade war dem deutschen General Falkenhayn ein erfolgreicher Angriff gegen die Russen bei Tarnow-Gorlice geglückt. Sicher, es dauerte nun schon etwas länger als gedacht, die Maisonne schien bereits, und bald jährte sich der Tag von Sarajewo, aber dann konnte es wirklich nur noch eine Frage vonWochen sein. Nur die Engpässe der Kriegswirtschaft machten das Leben ein bißchen schwierig. Die Blockade der Engländer zeigte ihre Wirkung. Die deutsche Landwirtschaft konnte den Bedarf an Lebensmitteln nicht länger decken, zumal auch viele Bauern an der Front waren und es auf den Feldern an Arbeitskräften fehlte. Um so wichtiger war es, den Markt zu organisieren und den Patriotismus am Brennen zu halten. Und in niemandes Händen war diese Aufgabe besser aufgehoben als in denen des Frauen Vereins.
Der Name Lombard hatte einen guten Klang in München vor allem wegen der Vorstellung von Geld, die sich mit ihm verband, so daß, als bekannt wurde, der junge Lombard habe geheiratet, sogleich eine Abordnung von Frauen in der Prinzregentenstraße erschien, entschlossen, die junge Berlinerin für die Sache zu werben. Es handelte sich um Damen aus befreundeten Familien, Frauen von Geschäftspartnern der Fabrik Lombard, und gegen ihre Überredungskunst hatte die überraschte Felicia keine Chance. Ehe sie es sich versah, gehörte sie dazu, und jammernd und stöhnend mußte sie bald erkennen, was das bedeutete: Ihre gesamte Zeit wurde verplant, unnachsichtig wurde darüber gewacht, daß sie ihr Soll an Einsatz erfüllte. Und das war nicht wenig.
»Wie ich das Strümpfestricken hasse«, sagte sie wütend zu Alex, »und diese endlosen Nachmittage, an denen nichts und gar nichts geschieht und wir über Kochrezepte reden, bei denen man kein Fett braucht und kein Mehl, und über die Verwertung von Küchenabfällen, und jedesmal räumen sie mir den halben Kleiderschrank aus für das Rote Kreuz... ach, ich hab es so satt!«
Alex lächelte. »Wo sind deine patriotischen Gefühle?«
»Die hatte ich nie, das weißt du doch!«
»Ich weiß, ja. Das war immer dein Problem, nicht? Du kannst dich nicht für eine Sache engagieren, sondern nur für dichselbst. Hat es nicht schon Menschen gegeben, die für diesen Zug deines Wesens nicht das allergeringste Verständnis aufbrachten?«
Es gab nichts was sie so haßte, wie derlei Anspielungen.
»Wenn du es doch aufgeben könntest, über Dinge zu reden, von denen du nichts verstehst!« fauchte sie leise und verließ das Zimmer.
Es gab Tage, an denen sie sich verzweifelt fragte, warum sie diesen Mann geheiratet hatte. Er war ihr fremd, oft schien es ihr, als werde er ihr mit jedem Tag noch fremder. Hier in diesem düsteren alten Stadthaus, in dem er seine Jugend unter der Fuchtel eines verknöcherten Tyrannen und in engster Verbundenheit mit einem hochsensiblen, übernervösen Mädchen verbracht hatte, hätte sie versuchen können, den Mann, den sie aus einer Laune heraus geheiratet hatte, zu verstehen, seine Vorliebe für harten Alkohol, seine Menschenverachtung und seine rasch wechselnden Stimmungen zu begreifen, aber es lag ihr nichts daran, diesen Versuch zu machen.
Sie sah von Alex nicht mehr als das, was er nach außen hin zeigte, und dieses Bild gefiel ihr nicht. Sie war überzeugt, nie im Leben unglücklicher gewesen zu sein als in dieser Münchener Zeit, und mehr als alles andere haßte sie den Krieg, der sie zwang, ihr Dasein mit Beschäftigungen zuzubringen, zu denen sie nicht die allergeringste Lust verspürte.
Zweimal in der Woche traf sich das Strickkränzchen in der Prinzregentenstraße. Es grämte
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