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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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er, aber wirklich nachempfinden konnte sie sie nicht. Linda war nicht geschaffen, über Krieg und Frieden nachzudenken, nach Sinn und Wert zu suchen. Sie war eine Puppe, sanft, freundlich und kindlich, erzogen in einer Ordnung, die von Frauen erwartete, daß sie anmutig und schön sind und nichts weiter vom Leben verlangen, als für ihren Mann und ihre Kinder da zu sein. Die Männer stellten sich den Härten des Daseins, die Frauen warteten daheim, sie in ihre Arme zu nehmen, wenn sie müde und erfüllt zurückkehrten. Manchmal zweifelte Johannes, ob wohl diese sorgsam behütete Welt den Krieg überleben würde. Tief im Innern hegte er die Furcht, daß
    Glanz, Schönheit und Sorglosigkeit des Kaiserreiches bereits in ihren Grundfesten schwankten. »Weißt du, ich wünschte, ich müßte nicht hier allein in Berlin bleiben«, sagte Linda, »es ist so einsam ohne dich. Und ohne Phillip. Immerzu muß ich an dich denken, und niemand lenkt mich ab.«
    »Willst du nicht ganz zu meiner Mutter ziehen?«
    »Nein... deine Mutter weint den ganzen Tag, gerade jetzt, wo auch Christian bald an die Front geht. Sie macht mich noch trübsinniger.«
    »Und wenn du nach München gingest? Zu Felicia?«
    »O...« Lindas Miene erhellte sich, »meinst du, das ginge?«
    »Schick ihr doch ein Telegramm und frag sie. Ich bin ganz sicher, sie wird dich einladen.«
    »Ja, ich werde es so machen. Wenn ich dich zum Bahnhof bringe, schicke ich das Telegramm ab.«
    Am Bahnhof trafen sie Sara und Onkel Leo. Leo hatte eine schwarze Melone auf dem Kopf und trug einen Mantel mit Pelzkragen. Vom Revers wippte eine gewaltige rosarote Papierblume. »Mon dieu!« rief er, was bei einigen Umstehenden ein Stirnrunzeln auslöste, denn französische Worte galten als unpatriotisch. »Was sehe ich? Meinen werten Neffen Jo und seine entzückende junge Frau!« Wohlwollend betrachtete er Linda, die einen eleganten knöchellangen Mantel und eine kleine, kecke Pelzmütze trug. »So rosige Wangen, und das mitten im Winter! Ihr habt euren Urlaub wohl bis zum letzten Augenblick genossen, wie?«
    Linda blickte rasch zur Seite, während Johannes verlegen murmelte: »Aber Onkel Leo!«
    »Keine falsche Bescheidenheit bitte! Ich weiß die guten Seiten des Lebens zu schätzen. In deinem Alter... ach Gott, die tollsten Sachen haben wir da getrieben!«
    »Wo willst du hinfahren, Onkel Leo?«
    »Ich? Nun, jedenfalls nicht an die Front. Ich fahre nach Hamburg. Kenne ein paar nette Leute dort, die ich mal wieder besuchen sollte!« Er zwinkerte mit den Augen. »Die reizende Sara war so nett, mich hierher zu begleiten.«
    Sara lächelte verhalten. Als Gast bei Felicia hatte sie Onkel Leo vor vielen Jahren kennengelernt, und Felicia hatte Leo damals beauftragt, das »graue Mäuschen« ein wenig aufzumuntern. Was dieser dann auch versucht und sich damit Saras schüchterne Zuneigung gesichert hatte - die er allerdings kaum zu würdigen wußte. Sara gehörte nicht zu den Frauen, die Leopold Domberg länger beachtete.
    »Wahrscheinlich wittert Sara eine Tragödie in ihm«, hatteFelicia oft gespottet, denn Saras seherische Fähigkeiten schienen immer und überall das Drama zu erblicken. Tatsächlich wirkte sie heute verstört, als sie auf dem kalten Bahnsteig stand, die Hände tief in einem schwarzen Pelzmuff vergraben, einen langen schwarzen Kaschmirschal um den Hals geschlungen. Linda hatte plötzlich eine Idee.
    »Möchtest du mich vielleicht nach München begleiten? Ich besuche Felicia für ein paar Wochen. Wir könnten beide ein bißchen Ablenkung gebrauchen.«
    Sara hatte sich nie so weit von daheim fortgewagt und brachte hundert Bedenken vor, aber Linda fegte sie alle vom Tisch.
    »Was ist schon dabei? Wir fahren zusammen, und in München haben wir Felicia!« Sie schleppte Sara, die sich der Form halber ein wenig sträubte, zum Telegraphenamt und gab hochzufrieden die vielversprechende Ankündigung auf:
    »Eintreffen Neujahrstag in München - hast du Lust auf längeren Besuch? Sara und Linda.«
    7

Der Besuch dauerte tatsächlich länger. Im Mai waren Sara und Linda immer noch in München.
    Nur gut, daß ich meine Freundinnen habe, dachte Felicia jeden Tag erleichtert, allein wäre es ja nicht auszuhalten!
    Sie hatte beiden früher wenig Aufmerksamkeit geschenkt, immer gefunden, daß es soviel interessantere Menschen gab. Vor allem Männer. Felicia vermißte die Männer sehr. An der Front schossen sie einander tot, und sie saß hier und - war dem Vaterländischen Frauenverein in die

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