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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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Felicia, daß sie den Damen dann jedesmal etwas zu essen anbieten mußte. Zucker und Mehl waren rationiert und nur noch auf Marken erhältlich, und Felicia, für die Kuchen und Plätzchen früher das Selbstverständlichste auf der Welt gewesen waren, sah nun mit schlecht verhohlenem Ärger zu, wie sich die dicke Klara Carvelli ungeniert ein Stück Kuchen nach dem anderen in denMund schob und die offenherzige Auguste Breitenmeister den teuren Kaffee hinunterschüttete, als handele es sich um Quellwasser. Dabei strickten sie Reihe um Reihe oder wickelten Verbandmull auf und wirkten so selbstgerecht, daß es einem die Sprache verschlagen konnte.
    Lydia Stadelgruber, die dritte im Bunde, erschien stets in Begleitung ihrer Tochter Clarisse, die einen Verlobten an der Ostfront hatte und viel Aufhebens darum machte. Ihren Erzählungen nach ging Tarnow-Gorlice ganz allein auf das Konto des jungen Mannes. Clarisse liebte es, tiefsinnige Betrachtungen über Verzicht und Opferbereitschaft der deutschen Frau anzustellen. Sie errang sich damit die Zuneigung Clara Carvellis, die einen Sohn in Frankreich hatte, und die von Linda, der von allen Seiten ein Höchstmaß an Zuwendung entgegengebracht wurde, denn sie erwartete ein Kind, und sie war sehr stolz darauf. Die Frage, ob dieses Kind wohl je seinen Vater kennenlernen würde, war ein beliebtes Thema im Kränzchen. Lindas Angst um Jo war nie gespielt gewesen, aber während sie in Berlin ihrer Furcht allein ausgeliefert gewesen war und sehr darunter gelitten hatte, begann sie sie hier in diesem Kreis mitfühlender Frauen beinahe wohlig zu genießen. All das Gerede von Opfer und Mut beeindruckte sie tief und erfüllte sie mit der Bereitschaft zu tragen, was immer das Schicksal ihr auferlegen würde.
    Dieser unselige Krieg wäre viel schneller zu Ende, wenn die Frauen nicht so viel faseln würden von Ehre und Entsagung, dachte Felicia oft verärgert. Warum nur erklärt eine Frau wie Linda ihrem Mann nicht klipp und klar: Wir haben geheiratet, ich bekomme ein Kind, nun bleib gefälligst bei mir und setz nicht dein Leben aufs Spiel, damit ich das Kind nicht womöglich allein großziehen muß! Das wäre ihr gutes Recht. Aber nein... nachts weint sie sich still und leise die Augen aus, und tagsüber erzählt sie jedem, ob er es hören will oder nicht, daß sie stolz und glücklich ist darüber, daß der Vater des Kindesin Frankreich steht und bereit ist, für Deutschland und den Kaiser zu sterben! Kein Wunder, daß es die Männer dann berauschend finden, ins Feld zu ziehen.
    An einem warmen Maitag saßen sie wieder einmal alle im Wohnzimmer des Hauses am Prinzregentenplatz und strickten eifrig. Die Sonne schien durch die Fenster, und von draußen klang das Lachen einiger Soldaten, die mit einem Mädchen flirteten. Felicia hob immer wieder den Blick, sah hinaus und seufzte schwer. Sie trug ein neues, sehr schönes Kleid aus violettem Musselin, mit einem breiten Einsatz aus tiefrosafarbenem Samt in der schmalen Taille, aber ihre Freude daran trübte die Erkenntnis, wie sinnlos es war, sich hübsch anzuziehen, wenn einen doch niemand ansah als ein Vierteldutzend alter Hennen, denen die Mißbilligung über so viel unverhohlene Eitelkeit deutlich ins Gesicht geschrieben stand. Hätte sie wenigstens im Englischen Garten spazieren gehen können...
    »Dieser Tag ist fast zu schön, um ihn im Zimmer zu verbringen«, sagte sie hoffnungsvoll. Niemand reagierte, bis auf Kat, der das Stillsitzen ebenfalls schwerfiel. »Ja, das wäre ein Tag, um sich in die Sonne zu setzen«, meinte sie sehnsüchtig. Ihre dunklen Augen irrten ruhelos durch das Zimmer. Auguste blickte sie mißbilligend an. »Wirklich, Kassandra, so solltest du nicht reden. Der Krieg ist nicht dazu da, sich zu amüsieren. Unsere tapferen Helden an der Front können auch keinen Spaziergang machen!«
    »Aber sie langweilen sich bestimmt nicht halb so sehr wie wir«, murmelte Felicia halblaut, glücklicherweise ohne daß es jemand hörte. Eine Weile klapperten wieder nur die Stricknadeln, dann unterbrach Auguste die Stille. »Ich habe eine Idee, die ich hier gerne vortragen würde. Vielleicht geht ihr ja darauf ein...«
    »Bitte, Auguste, wir hören zu«, entgegnete Clara. Augustes dezente Ankündigung war eine reine Farce, das wußten alle,denn sie setzte immer durch, was sie wollte, und »Idee« war bei ihr gleichbedeutend mit »Befehl«, doch eisern hielten sie und die anderen Frauen am täglichen Ritual eines demokratischen Schauspiels

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