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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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Maschinenschaden. Bloß ein paar Russen!«
    Sie durften nicht miteinander reden, während sie in der Einsamkeit unter blauem Himmel und zwischen zirpenden Grillen darauf warteten, daß von dem letzten kleinen, verschlafenen Bahnhof, den sie passiert hatten, eine Lokomotive kam, um ihren Zug wieder in die entgegengesetzte Richtung zu ziehen. Trotzdem gingen die Gerüchte von Mund zu Mund - einer der Russen selber hatte wohl etwas verlauten lassen. Große russische Offensive - sind tief ins Land eingedrungen größter Sieg seit Beginn des Krieges - General Brussilow hat die Armee geführt - 200000 Gefangene...
    Bruchstücke von Sätzen schwirrten durch die Luft, wurden eilig aufgefangen und weitergegeben. Brussilow, Brussilow, Brussilow... der Name hämmerte in Felicias Kopf. Sie hatte den Wagen verlassen, saß im Schatten der Räder auf der Wiese. Ihr Platz wäre bei den Verwundeten gewesen, sie wußte es, doch sie wollte nicht. Später... Kat, Paula und die anderen kamen auch ohne sie aus. General Brussilow - Gott verdamme ihn! Alles hatte er zunichte gemacht! Ein Russe trat an sie heran.
    »Zigarette?« fragte er. Sie schüttelte den Kopf. Nein, sie wollte keine Zigarette, sie wollte nach Hause!
    Dr. Degnelly sprang aus dem Wagen und sprach einen jungen russischen Offizier an. »Wir haben einen Toten im Zug. Dürfen wir ihn begraben?«
    Nach kurzem Zögern gab der Offizier seine Zustimmung. MitSchaufeln bewaffnet begaben sich Degnelly und zwei leichter verwundete Männer zu einer Kiefer, in deren Schatten sie das Grab zu schaufeln begannen. Felicia beobachtete sie. Lethargie breitete sich in ihr aus. Der rothaarige Benny kam ihr in den Sinn. »Du solltest fort sein, wenn es passiert!«
    Sie war nicht weit genug gekommen. Hätte sie nur, hätte sie nur... ihre Gedanken jagten, einen Schuldigen an der Misere zu finden. Ja, hätte sie nur Alex nie geheiratet! Seinetwegen saß sie hier in der Tinte. Sie haßte ihn, wenn er nur wüßte, wie sehr sie ihn haßte... Der Soldat, der ihr eine Zigarette angeboten hatte, trat noch einmal auf sie zu. »Keine Angst«, sagte er tröstend, »wird nichts passieren. Kommen in Lager, werden ausgetauscht irgendwann gegen russische Gefangene!«
    »Aber warum wir alle? Führt ihr denn auch Krieg gegen Krankenschwestern und Ärzte?«
    Er hatte sie nicht verstanden. »Was ist?«
    »Ach nichts!«
    Aus dem Zug erklang Schwester Paulas Stimme. Unverdrossen gab sie Befehle. »Schwester Susanne, soll das hier ein ordentlicher Verband sein? Tun Sie gefälligst Ihre Arbeit und schielen Sie nicht ständig nach draußen!« Selbst beim Ausbruch eines Erdbebens wäre sie um nichts von ihrer strengen Disziplin abgewichen.
    Felicia beobachtete wieder die Männer, die unter der Kiefer das Grab schaufelten. Ihr Vater richtete sich gerade auf, strich sich über die Stirn. »Das reicht. Tiefer kommen wir sowieso nicht.«
    Einer der russischen Soldaten schlenderte an die Grube heran. Ein kleiner, untersetzter Mann mit breiten Wangenknochen und schrägen Augen. Er trug ein provokantes Grinsen auf den Lippen. Er sagte etwas, was wohl niemand verstand, aber in seiner Stimme schwang ein verächtlicher Ton. Auf einmal - es kam Felicia vor, als beobachte sie ein Theaterstück auf derBühne, ruhig und wie einstudiert geschah alles - auf einmal packte einer der deutschen Soldaten seine Schaufel fester und hob den Arm. Er glühte vor Fieber, schwang die gefährliche eiserne Waffe hoch über dem Kopf. Keineswegs erschreckt, nur verwundert verfolgte der Russe mit den Augen seine Bewegungen. Felicia konnte das verzerrte, vom Fieber zerstörte Gesicht des Deutschen sehen. Er dreht durch, dachte sie, lieber Gott, er bringt den Russen um!
    Der Russe hob gelassen seine Pistole. Im gleichen Augenblick packte Dr. Degnelly den Kranken am Arm, um ihn beiseite zu stoßen. Dieser stolperte, die Kugel traf Degnelly mitten in die Brust. Erstaunt blickte er an sich hinunter auf den rasch größer werdenden Blutfleck. Sein Blick kreuzte sich mit dem des Russen. Beide Männer sahen einander betroffen an. Felicia sprang auf. »Vater!« schrie sie. »Vater! O Gott, der hat auf meinen Vater geschossen!« Sie rannte über die Wiese. Hinter sich hörte sie Kat schreien. Sie fiel neben ihrem Vater, der zu Boden gesunken war, auf die Knie und schlang beide Arme um ihn. »Vater, Papa, tut es weh? Es ist nur ein Streifschuß, nicht wahr? Es ist nicht schlimm. Nur so viel Blut, aber...« Sie hielt ihn aufrecht, obwohl er sich mit matter Kraft

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