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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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neunzehn erst! Da hat so ein junger Mensch sein ganzes Leben vor sich, und da kommt ein scheußlicher Franzose daher und...«
    »Du wirst es nicht glauben, Fanny«, sagte Alex, »aber es gibt auch tote Franzosen in diesem Krieg. Neunzehnjährige! Von Deutschen erschossen. Von solchen wie mir!« Er erhob sich ebenfalls und nahm eine Flasche Whisky aus dem Schrank. »Ich trinke noch ein bißchen. Ich... wie sagt man?... ich ersaufe mein Elend im Schnaps!« Sein Gesicht verzog sich schmerzlich.
    »Armer Christian! Das Leben ist ein Misthaufen, aber jeder sollte die Chance haben, das selber herauszufinden.«

2

    Im Zug befand sich ein Verwundeter mit Bauchschuß. Er stöhnte so, daß niemand es mehr aushielt. Dr. Degnelly gab ihm Morphium, aber selbst das nützte kaum noch etwas. Ein Pferd in diesem Zustand würde man erlösen, dachte Felicia voller Grauen, wenn Papa ihm eine Überdosis Morphium...
    Aber das wagte sie nicht laut zu sagen. Solche Gedanken hätten ihren Vater erschüttert. Sanft tupfte sie ihm mit einem Taschentuch über die feuchte Stirn. Degnelly blickte auf.
    »Danke, Kleines«, sagte er, und leiser fügte er hinzu: »Der hier hat es bald geschafft. Es ist das beste.«
    »Natürlich, Papa. Und du hast getan, was du konntest.«
    Fürsorglich reichte sie ihm ein Glas Wasser. »Du mußt mehr trinken. Das ist sehr wichtig. Wem nützt es, wenn du krank wirst?«
    Am anderen Ende des Waggons sagte Schwester Paula zu Kat: »Wenn sie sich um einen der Verwundeten nur halb so sehr kümmern würde wie um ihren Vater! Ihre Schwägerin, wissen Sie, gehört zu einem Schlag Frauen, wie ich ihn nur allzu gut kenne. Für solche Frauen gibt es ein paar wenige Dinge auf der Welt, die sind ihnen überaus kostbar, und für die würden sie sich in Stücke reißen lassen, aber der Rest der Menschheit, der...« sie schnaubte verächtlich, »der kann getrost verrecken, da zucken die mit keiner Wimper!«
    »So dürfen Sie von Felicia nicht sprechen. Sie ist ganz anders, als Sie denken. Ich bin froh, daß sie jetzt zu meiner Familie gehört. Ich mag sie sehr gern!«
    Die Oberschwester betrachtete das schwärmerische Mädchen nachdenklich. »Na, Sie werden noch mal an mich denken«,brummte sie, »so, und jetzt los, los! Fangen Sie an, die Verbände zu wechseln! Muß ich immer alles zweimal sagen?«
    Fauchend und prustend ratterte der Zug durch flaches, ödes Land. Felicia lauschte dem Stampfen der Räder. Sie hätte eine Melodie dazu singen mögen, so lockend ging ihr der Rhythmus durch alle Glieder. Mit jeder Minute kamen sie Wien näher. Und waren sie erst in Wien... ach, undenkbar, daß sie dann zurückkehren sollte! Noch einmal ein Lazarett, nein, das war nichts für sie. Sie mußte einen Weg finden, zu Hause bleiben zu dürfen.
    Und dann ging es nichts wie heim nach Berlin. Nur fort vom Krieg und all dem Scheußlichen. Verstohlen kratzte sie sich am Rücken. Flöhe! Natürlich hatte sie sich wieder welche eingefangen. Keiner blieb vor den Biestern verschont. Und obwohl sie mit diesem Übel nicht alleine dastand, fand sie es unaussprechlich peinlich und widerwärtig.
    Der Zug hielt so plötzlich, daß Felicia beinahe den Halt verloren hätte. Der Mann mit dem Bauchschuß fiel von seinem Bett. Er stieß einen leisen Schrei aus, dann kippte sein Kopf nach hinten, seine Augen wurden starr und glasig. Die übrigen Männer klammerten sich an ihren Tragen und Rollstühlen fest. Allgemeines Geschimpfe setzte ein. »Was soll denn das?
    Warum hält der hier?«
    »Kann er das nicht ein bißchen sanfter machen?«
    »Was glaubt der, was er transportiert? Holz?«
    »Ruhe!« donnerte Schwester Paula. »Ruhe! Kein Grund zur Aufregung. Felicia, finden Sie schnell heraus, weshalb wir hier halten. Wenn's ein Maschinenschaden ist, dann gute Nacht!«
    Felicia stieg vorsichtig über den toten Soldaten hinweg. Sie hatte den Eindruck, daß ihre Nerven vibrierten. Nur jetzt keine Verzögerung mehr. Sie könnte es nicht aushalten!
    Mit einem Ruck öffnete sie die Schiebetür des Waggons. Brütende Hitze flutete in das Innere. Fremde, feindseligeGesichter starrten sie an. Verdreckte Uniformen, wirre Haare, staubbedeckte Pferde. Kein Lächeln, keine Freundlichkeit in den schmalen, dunklen Augen. Sie brauchte eine ganze Weile, ehe sie begriff.
    »Was ist los?« erklang Schwester Paulas schnarrende Stimme von weither. Einer der Verletzten, der so lag, daß er die Tür im Auge hatte, antwortete lässig: »Nur keine Aufregung, Schwester, das ist kein

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