Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
Vom Netzwerk:
gegen ihre Arme sträubte. Er wollte sich hinlegen, aber sie ließes nicht zu. Er durfte nicht liegen, lag er erst, dann stand er vielleicht nie wieder auf.
    Das Blut quoll hell und pulsierend aus der Wunde und färbte Felicias graues Schwesternkleid rot. Degnelly öffnete mühsam den Mund. »Laß mich los. Laß mich los, ich bin müde.«
    Sanft ließ sie ihn zur Erde gleiten. Sie wandte sich um und rief mit leiser Stimme: »Der Arzt! Wo bleibt denn der Arzt?«
    Der zweite Arzt, der den Zug begleitete, ein sehr junger Mann, stürzte herbei.
    Er untersuchte die Wunde, dann sah er Felicia an und schüttelte kaum merklich den Kopf. Degnelly öffnete dieAugen. »Felicia, Liebes!« Er tastete nach ihrer Hand. »Ich bin so müde!«
    »Ja«, erwiderte Felicia mit erstickter Stimme, »du sollst dich auch ausruhen. Schlaf nur, nachher wirst du dich viel besser fühlen...«
    Er lächelte matt. »Kein Nachher. Es ist vorbei. Ich bin froh, daß du da bist.«
    »Papa, rede doch nicht so...«
    »Hör zu, Kleines, du mußt deine Mutter von mir grüßen. Merk dir den Tag meines Todes. Deine Mutter muß es wissen. Sie wird den Tag meines Todes wissen wollen.«
    »Aber du glaubst doch nicht, daß du...«
    »Mach dir nichts vor. Und bitte«, Degnellys Augen wurden ernst, die Nähe des Todes verlieh ihm eine neue Einsicht. »Bitte, kehr sobald du kannst zu deinem Mann zurück. Es ist nicht gut, Zeit zu verschwenden. Das Leben ist zu kurz. Es ist nicht gut, andere zu verletzen.«
    Was meinte er? Er konnte doch nicht wissen, daß sie und Alex... Aber darüber wollte sie jetzt auch gar nicht sprechen. Sie wollte ihn nur bitten, daß er bei ihr bliebe, ihm sagen, daß er jetzt nicht einfach sterben dürfe. Nicht hier unter der glühenden Sonne, in dieser gottverlassenen Einsamkeit.
    »Natürlich, Papa. Ich werde Alex nie mehr verletzen. Ich werde ihn glücklich machen...« Alles hätte sie ihm jetzt versprochen.
    Seine Augen blickten nicht mehr klar. »Sag deiner Mutter, daß ich sie sehr geliebt habe. Sag es ihr bitte!«
    »Natürlich sag' ich es ihr. Und ich weiß, wie sehr sie dich auch liebt. Sie hat dich immer...«
    Ein trauriges Lächeln umspielte Degnellys Mund. »Sie hat mich nie geliebt. Sie hat mich nur geheiratet, um zu vergessen...« Er sprach nicht weiter, ein anderer Gedanke schoßihm durch den Kopf. »Was wird jetzt aus dir?«
    »Oh, mach dir um mich keine Sorgen!« Sie log ruhig und überzeugend. »Ich hörte gerade, daß die Schwestern alle heimgeschickt werden. Ich komme schon durch, Vater.«
    Er sah sie zärtlich an, dann glitt eine Sekunde lang Erschrecken über sein Gesicht. Er sah aus, als stünde er einer unsichtbaren Gefahr gegenüber, doch gleich darauf entspannten sich seine Züge wieder. Ohne Widerstreben tat er seinen letzten Atemzug.
    In unfaßbarem Grauen starrte Felicia ihn an. Sie lauschte in ihrem Innern nach einer Regung, aber alles war betäubt. Es schien, als begreife sie nicht, was geschehen war. Trotz aller Erfahrung, der gewaltsame Tod gehörte noch immer nicht in ihr Leben. Daran hatte die Arbeit im Lazarett nichts geändert. Das Leid der fremden Soldaten hatte sie im Innersten nicht aufwühlen können. Diesmal aber wurde ihr ein Stück aus der eigenen Seele gerissen.
    Ich weine nicht. Wenn ich jetzt weine, werde ich wahnsinnig. Ihr Schmerz suchte einen Ausweg. Aus kalten, schiefergrauen Augen sah sie den jungen Arzt an, der hilflos neben ihr stand.
    »Können Sie noch etwas anderes, als dumm herumstehen?«fragte sie barsch.
    Er zuckte zusammen. »Es gibt nichts mehr zu tun. Ihr Vater...«
    »Er ist tot, ich weiß.« Eine Woge von Entsetzen stieg in ihr auf, als ihr klarwurde, daß er direkt neben der gerade noch von ihm geschaufelten Grube lag. Er hatte sich das eigene... Brüsk erhob sie sich. Ihr Gesicht war gespenstisch bleich, ihre Augen glühten. Ein harter Zug lag um ihren Mund. Der große Blutfleck auf ihrer Brust hob sich dunkel vom blassen Grau ihres Kleides ab.
    Sie mußte dafür sorgen, daß ihr Vater beerdigt wurde. Siemußte eine Bibel auftreiben und ein paar Worte daraus lesen. Sie mußte seine persönlichsten Gegenstände - den Ehering, seine Taschenuhr, das Amulett mit dem Bild Elsas - an sich nehmen, und wehe dem Russen, der es ihr streitig machen würde. Diese Dinge gehörten jetzt ihrer Mutter, und die sollte sie auch bekommen.
    Mit raschen Schritten ging sie zu den Waggons zurück. Kat streckte unsicher den Arm nach ihr aus, zog ihn aber gleich wieder zurück, erschreckt durch den

Weitere Kostenlose Bücher