Sturmzeit
fertig, als Alex Lombard das Zimmer betrat. Er sah so gut aus, daß ihr für Sekunden der Atem stockte. Er hatte einen Schal aus elfenbeinfarbener Seide um den Hals geschlungen, und der dunkelgraue Schimmer eines nachlässig rasierten Bartes lag auf seinen Wangen. Er lächelte. »Tag, Linda. Ist noch etwas Tee für mich da? Nein? Macht nichts. Wir haben einen Anlaß zu feiern!« Er holte eine Flasche Gin aus dem Schrank und zwei Gläser. Dann nahm er Paul auf den Arm und schwenkte ihn durch die Luft. »Na, Monsieur, haben Sie heute wieder was Neues gelernt? Wissen Sie, Linda, der Kleine wird mit jedem Tag hübscher!« Er setzte ihn ihr auf den Schoß, entkorkte die Flasche und schenkte zwei Gläser voll. »Trinken Sie, Linda. Trinken Sie auf mich. Ich habe mir heute einen langgehegten Wunsch erfüllt!«
»Welchen denn?« fragte Linda. Bei sich dachte sie: Vor allem hast du heute bereits eine ganze Menge getrunken!
»Ich gehe zu den Soldaten. Hauptmann Lombard hat sich gemeldet, und man hat ihn genommen. Fabrik hin oder her, die Reservisten werden jetzt bis auf den letzten Mann gebraucht!«
Er leerte seinen Gin in einem Zug und schenkte sich gleich neu ein.
»Nächste Woche geht's nach Frankreich!«
»Was?«
Er musterte sie amüsiert. »Was erstaunt Sie so?«
»Nun, ich dachte... ich glaubte immer, daß...«
»Heraus mit der Sprache! Was glaubten Sie? Daß Alex Lombard eigentlich kein Patriot ist?«
Linda nickte tödlich verlegen. Dies schien ihr eine unaussprechliche Beleidigung. Aber Alex lachte nur und kippte seinen zweiten Gin hinunter. »Ich habe eine Vorliebe für jedes Abenteuer, Madame. Und dieser Krieg ist ein Abenteuer!«
»Bloß ein Abenteuer?« fragte Linda leise. Seine Worte kränkten sie, aber sie wagte nicht, es zu zeigen. Alex hatte sie immer etwas eingeschüchtert.
»Ja«, erwiderte er, »bloß ein Abenteuer. Wissen Sie, Linda, ich habe nichts zu verlieren. Das ist das Schöne an meinem Leben, es ist mir nichts wert. Deshalb bin ich frei zu tun, was ich will. Mir haben immer die Menschen leid getan, die an ihrem Leben hängen. Sie müssen dauernd Angst haben. Ich habe keine! Herrgott, ist das ein Spaß!« Er leerte das dritte Glas. Linda nippte an dem ihren. »Sie gehen hoffentlich nicht, weil das Kind und ich Ihnen zur Last fallen?«
»Last? Meine Gute, ich liebe Kinder! Ich liebe Frauen!« Er lachte über ihr schockiertes Gesicht. »Nein, ich gehe, weil ich endlich überzeugend darlegen konnte, daß mein Vater die Fabrik sehr gut allein leiten kann und ich nicht im geringsten gebraucht werde. ›Meine Herren, an der Front kann ich mehr für Deutschland tun!‹ habe ich gesagt.« Er starrte auf Lindas Glas.
»Trinken Sie doch! Nicht so schüchtern, Linda! Trinken Sie, dann verstehen Sie mein Glück!«
»Felicia wird kaum froh sein, davon zu hören«, murmelte Linda. Alex hob schwerfällig den Kopf. Seine dunklen Augen waren die eines Schläfers, der aus einem tiefen Traum erwacht und Mühe hat, sich im Hellen zurechtzufinden. »Felicia...« sagte er leise, fast verwundert. »Felicia... was sagten Sie von ihr?«
»Es wird ihr Sorgen machen, wenn sie von Ihrem Entschlußerfährt.«
Er trank das vierte Glas aus und lachte häßlich. »Es wird«, sagte er, »Madame Lombard verdammt gleichgültig sein, das ist die verfluchte Wahrheit!«
Es klopfte an der Tür. Fanny trat ein. »Ein Telegramm«, sagte sie, »für Linda Degnelly. Aus Frankreich.«
Linda wurde weiß bis in die Lippen.
»Scheiße«, sagte Alex. Er schien ernüchtert. Eine fahle, unschöne Blässe breitete sich über sein Gesicht. Linda entfaltete das Papier. »Es ist von Johannes selber«, sagte sie, »Gott sei Dank, dann ist er nicht...« Sie las und stieß
einen Schreckenslaut aus.
Alex sah sie an. »Nun? Was schreibt er?«
Mit bebender Stimme las Linda vor: »Christian bei der Erstürmung des Forts Thiaumont gefallen - sei bei Mutter in Berlin, wenn sie die Nachricht erhält - Johannes.«
Fanny schnüffelte leise. Alex hob sein leeres Glas und betrachtete durch den geschliffenen Stiel hindurch mit zusammengekniffenen Augen die verzerrte Tapete am anderen Ende des Zimmers. »Felicias jüngster Bruder«, sagte er langsam, »ein sehr netter Junge, soweit ich mich erinnere. Kann kaum älter als zwanzig gewesen sein.«
»Er war neunzehn«, sagte Linda. Sie stand auf. »Ich muß nach Berlin zurück. Jo hat recht. Man kann Mutter jetzt nicht allein lassen.«
»Ich helfe Ihnen beim Packen«, sagte Fanny, »ach Gott,
Weitere Kostenlose Bücher