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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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einen Gedanken, der dumpf in ihrem Kopf hämmerte: Ich muß hier weg... ich muß hier weg...
    Eines Morgens erwachte sie aus unruhigem Schlaf, und wie immer neigte sie sich als erstes über die neben ihr liegende Kat, ein zärtliches Lächeln auf den Lippen, das schlecht zu ihren kühlen Augen und den harten Linien ihres Gesichtes paßte, das sie sich aber abrang, weil sie ahnte, daß Kat nichts so sehr brauchte wie etwas Wärme und Zuwendung.
    Heute zerfiel ihr Lächeln sofort, machte heftigem Erschrecken Platz: Kat war nicht wie sonst. Ihre Gesichtsfarbe schien gelblich, die Augen braun umrandet. Über der Nase hatte sich eine Falte gebildet, so, als ziehe die Schläferin schmerzhaft die Stirn zusammen. Kats Atem ging flach, ihre Hände fühlten sich heiß an. Es gab keinen Zweifel. Die Krankheit hatte auch sie ereilt.
    Felicia leckte sich über die trockenen Lippen. Eine fast hysterische Furcht stieg in ihr auf.
    Heiliger Jesus, ging es ihr durch den Kopf, heiliger Jesus, die nächste bin ich!

3

    Alex hatte seit zwei Wochen kein Auge zugetan. Auf den Lippen schmeckte er den Staub des Schützengrabens, es war ihm kalt bis in die Knochen, klamm und feucht klebte seine Uniform an ihm. Der Sommer hatte von einem Tag auf den anderen geendet, der Herbst begann mit Regen und Kälte. Statt unter stechender Sonne starben die Männer im Nebel, aber welchen Unterschied machte das schon?
    Er wollte schlafen, nichts als schlafen. Nach Tagen wie den vergangenen reduzierten sich die Bedürfnisse hier draußen auf das existenzielle Minimum: Essen, schlafen, trinken. Den Körper irgendwie so stark erhalten, daß er ertrug, was ihm zugemutet wurde.
    »Herr Major, kann ich Sie einen Moment sprechen?«
    Er zuckte zusammen. Aus dem Nebel zwischen den Häusern war Leutnant Fabry getreten, ein blasser, grauer Schatten. Müde und gereizt wie er war, erwiderte Alex barsch: »Ja, Herrgott, was ist denn?«
    Fabry sah aus, als sei er einem Gespenst begegnet. »Herr Major, ich dachte, Sie sollten es gleich wissen. Es ist... es ist nur..., sie haben Leopold Domberg zurückgebracht.«
    Es war Alex, als habe ihn jemand mit der Faust an der Schläfe getroffen. »Was?«
    »Er wurde an der belgischen Grenze aufgegriffen. In Zivilkleidung - und betrunken!«
    »Hat er... irgend etwas zugegeben?«
    »Er hat gestanden, daß er nach Hause wollte.« Fabrys Stimme klang bekümmert. Er war ein sensibler Mann, der nichts so sehr haßte, wie anderen Menschen Leid zuzufügen. Er mochte Alex, weil der ihm gegenüber eine Art Beschützerrolle angenommenhatte, und er wußte, daß Major Lombard und Domberg Freunde gewesen waren. Muß schwer sein für den Major, dachte er, wenn ich nur...
    »Danke, Leutnant«, sagte Alex schließlich und stellte dabei überrascht fest, daß seine Stimme normal klang, »ich werde mich darum kümmern. Soweit es meine Kompetenz zuläßt.«
    »Er wird vor ein Kriegsgericht gestellt werden.«
    »Natürlich.« Und ich kann nichts tun! Ich kann nichts tun. Ich kann sagen, daß er ein hervorragender Soldat war, daß ich immer Vertrauen zu ihm hatte und nie enttäuscht wurde, daß er verwirrt gewesen sein muß, daß er schon lange seine Nerven nicht mehr unter Kontrolle hatte... aber es wird nichts nützen. Es wird nichts nützen, und sie werden ihn erschießen, und alles, was er gewonnen hat, ist wenigstens ein schneller Tod!
    »Alles in Ordnung, Herr Major?« erkundigte sich Fabry besorgt.
    »Schon gut, Leutnant Fabry. Keine schöne Situation, nicht?
    Habe viel gehalten von Domberg. Ich hätte...« Er brach ab. Er wollte sagen: Ich hätte es verhindern können. Ich hätte ihn niederschlagen müssen, damals in der Sakristei, ihn fesseln, auf ihn einreden... aber hätte ich ihn halten können?
    »Sie müssen mich wohl erschießen«, hatte Leo gesagt, und Alex wußte: Einen anderen Weg, ihn festzuhalten, hätte es nicht gegeben.
    »Wissen Sie was, Fabry«, sagte er, »die Pfarrer erzählen uns ja immer, daß wir nach dem Tod das Paradies finden werden, aber um dorthin zu gelangen, müssen wir leben - und das ist ein verdammt hoher Preis!«

    Derselbe Morgen, aber weit weg von Frankreich, von den Schützengräben an der Somme. Derselbe Morgen in Petrograd. Nebel lag über den Häusern und Straßen. Es war sehr kalt. DerWinter, der gefürchtete, russische Winter, würde früh einsetzen in diesem Jahr. Und die Menschen hatten Hunger. Schon jetzt, zu dieser Stunde, da kein Laden geöffnet hatte, standen sie in langen Schlangen vor den

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