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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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sich für ihn daraus ergeben würden. Revolutionen waren grausam, es hatte keine je gegeben, in der nicht gerade das Blut der Unschuldigen in Strömen geflossen wäre. Es gelang ihr nicht, sich Maksim vorzustellen, wie er auf Unbewaffnete schoß, auf Frauen, vielleicht sogar auf Kinder.
    »Woran denkst du?« hörte sie ihn fragen.
    Sie tauchte aus ihren Gedanken auf. »Maksim«, sagte sie, »du weißt, für jeden von uns beiden muß es ein höheres Ziel geben als unser Glück, unsere Liebe, die Gesundheit des anderen und sogar sein Leben. Darüber habe ich gerade nachgedacht. Ich hoffe, daß das für dich kein Problem wird... eines Tages...«
    Maksim erwiderte ihren forschenden Blick vollerGelassenheit. »Kein Problem. Wir wollen dasselbe, und wir werden alles dafür tun.«
    Mascha nahm noch einen Schluck Kaffee, aber sie tat es nur, um die Augen niederschlagen und Maksim den Zweifel in ihrem Ausdruck verheimlichen zu können.
    Was du tust, wird nicht genug sein, dachte sie.

    Das Militärgericht hatte sein Urteil gefällt. Leopold Domberg war der Desertion für schuldig befunden und zum Tode verurteilt worden.
    Nichts von allem, was der Richter gegen ihn vortrug, stritt er ab.
    Er war wenige Kilometer südlich der belgischen Grenze aufgegriffen worden, und zwar ohne Uniform. Es war ihm daher zweifelsfrei zu unterstellen, daß er vorgehabt hatte, die Armee ohne Erlaubnis zu verlassen und nach Deutschland zurückzukehren, vermutlich in der Absicht, dort bis zum Kriegsende unterzutauchen. Man habe ihn außerdem in einer höchst verfänglichen Situation ertappt, auf einem Bauernhof nämlich, wo er mit dem dort ansässigen französischen Bauern Brüderschaft getrunken und die Marseillaise gesungen habe. Hier neigte sich der Richter ungläubig vor. »Die Marseillaise?
    Ein deutscher Soldat?«
    Leo entgegnete, er habe zwischendurch ebenfalls die Kaiserhymne gesungen, aber der Richter wisse wohl, daß es das Lied der französischen Revolution sei, das einem Mann das Blut rascher durch die Adern jage, wohingegen »Heil dir im Siegerkranz« eher für ein Begräbnis tauge.
    Damit war natürlich alles verloren. Der Richter wurde blaß, und Alex, der in seiner Aussage verzweifelt um Leos Integrität gekämpft hatte, stöhnte leise auf. Leo bewies ein zweifellos außergewöhnliches Geschick, seine schlechte Lage noch hoffnungsloser zu gestalten. Alex beobachtete ihn, während das Urteil verlesen wurde. Außer einer unnatürlichen Blässe verriet ihn keine Regung. Er sah nicht anders aus, als er immer ausgesehen hatte, wenn ihm der Schnaps knapp wurde und der Alltag kein Feuerwerk, keine Luftballons und keine Papierrosen bereithielt: Grau, müde, die breiten Schultern nach vorn gebeugt, die schweren Lider wie in melancholischer Schläfrigkeit halb über die Augen gezogen. Er vermittelte fast den Eindruck, als wisse er kaum, was eigentlich geschah.
    »Hör mal, Leo, gibt es irgend etwas, was ich für dich tun kann?« fragte Alex ihn nach der Verhandlung, als es ihm möglich war, ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Leo schüttelte den Kopf. »Du hast schon viel für mich getan Herr Major! Es hätte leicht auch deinen Kopf kosten können.«
    »Ich fürchte, mein Kopf überlebt auch noch einen Weltuntergang«, sagte Alex. Ernst fügte er hinzu: »Das alles ist ein gottverdammtes Pech. Du hattest von Anfang an fast keine Chance, aber ich hätte es dir so sehr gewünscht! Ich wünschte, ich könnte jetzt etwas für dich tun. Wenn ich wenigstens eine Zigarette für dich hätte!«
    »Das wäre schön«, meinte Leo sehnsüchtig. Mit einer überraschend vitalen Ironie in der Stimme sagte er: »Wie gut, daß mein armer Vater das nicht mehr erleben muß. Das Herz hätte es ihm gebrochen!«
    »Er war sehr streng, nicht?«
    »Oh, ja. Und er hat mir immer prophezeit, daß es mit mir ein schlimmes Ende nehmen würde. Allerdings schwebte ihm wohl eher vor, ich werde dereinst mein Leben bei einer Messerstecherei in einer marokkanischen Bar lassen müssen oder in den Armen einer Hure meine versoffene Seele aushauchen. Wäre mir übrigens weitaus lieber gewesen als das, was mich nun erwartet!«
    Er seufzte tief. »Die arme Sara! Ich hoffe, sie macht sich keine Vorwürfe!«
    »Sie hat ihren Dienst im Lazarett gekündigt. Sie will nach Berlin zurück.«
    »Sie hat soviel Gutes...« Leo hing seinen Gedanken nach. Dann, unvermittelt, fuhr er fort: »Ich habe eine Scheißangst. Ich habe mein Leben lang Angst vor dem Sterben gehabt. Nicht vor dem Tod, aber

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