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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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versuchen! Und wenn morgen die Offiziere gestürzt werden, kannst du trotzdem heute noch alles in die Wege leiten, Felicia zu helfen!«
    »Ich frage mich, wie sie es geschafft hat, einen Brief aus dem Lager zu schmuggeln. Und ihn sogar hier ankommen zu lassen.«
    »Mich wundert das nicht. Felicia setzt immer durch, was sie will.«
    Julius lächelte. »Sicher. Sie ist deine Nichte. Allerdings weiß ich nicht, ob es nicht zur Zeit sogar in diesem Lager sicherer ist als hier in Petrograd. Wir wissen nicht, was passieren wird. Der Winter steht vor der Tür. Die Menschen hungern.« Angewidert schob Julius seinen Teller fort, ließ das Brot darauf unberührtliegen. »Warum sieht denn niemand, daß es immer der Hunger war, der zu den blutigsten Revolutionen geführt hat!«
    Belle wollte nicht über Revolutionen sprechen. Sie neigte sich vor.
    In diesem Augenblick war der Unterschied zwischen ihr und ihrem Mann besonders deutlich: In Julius' Gesicht lagen Wissen und Leiden, in Belles Augen Ruhe und Kraft. »Bitte, Julius, tu, was du kannst. Wir wissen, wie diese Lager sind. Es herrschen Hunger und Krankheiten dort.«
    Julius erhob sich. Belle ergriff seine Hand. »Ich weiß ganz genau, was in dir vorgeht«, sagte sie, »und ich sehe auch, was mit diesem Land passieren kann. Aber deshalb dürfen wir nicht aufhören, das Nächstliegende zu tun.«
    Julius kapitulierte - wie immer, wenn sie etwas von ihm wollte. »Ich werde alles versuchen«, versprach er. Erst als er das Zimmer verlassen hatte, gab Belle dem Hustenreiz nach, der sie seit ein paar Minuten quälte, zog ein Taschentuch hervor und preßte es gegen den Mund. Mit wütendem Trotz ignorierte sie den Blutfleck, der auf den blütenweißen Spitzen zurückblieb.

    Es war ein Kellerloch, in dem Mascha Iwanowna lebte. Zehn ausgetretene, glitschige Steinstufen führten von der düsteren Gasse mit den engstehenden Häusern hinunter zu der morschen, angefaulten Holztür. Ging man hier hinunter, so hatte man den Eindruck, als herrschten über diesen Stufen, diesem Keller immer Winter, Kälte und Nebel.
    Ob man hier im Sommer wenigstens blauen Himmel sieht, oder einen Hauch Sonne? fragte sich Maksim, als er an diesem Oktobermorgen die Treppe hinunterging und sorgfältig aufpaßte, daß er auf dem nassen Moos nicht ausrutschte. Er wirkte geheimnisvoll: Seine Gestalt verbarg er unter einem weitschwingenden Mantel, seinen Hut trug er tief ins Gesichtgezogen.
    Mascha stand über das Feuer in der Ecke gebeugt. Mit einem Handtuch umfaßte sie den Griff der eisernen Kaffeekanne, hob sie vom Blechrost über dem Feuer und trat damit an den Tisch heran. Sie trug ein braunes, hundertfach geflicktes Kleid, eine wollene Decke um die Schultern, und die langen Haare hingen ihr wirr ins Gesicht; mit einer unwirschen Bewegung strich sie sie zurück. »Verdammt kalt heute, wie?« sagte sie zu dem eintretenden Maksim. »Trink einen Schluck Kaffee. Er ist dünn, aber heiß!«
    Maksim setzte sich an den Tisch. Fröstelnd rieb er seine Hände. »In der Stadt gärt es«, berichtete er, »und es soll wieder Verhaftungen gegeben haben. Offiziere.«
    »Gut. Laß es gären. Laß den Winter kommen. Hunger und Kälte sind unsere Verbündeten. Sie - und der Prophet bei Hofe!«
    Mascha sprach von Rasputin. Maksim verzog das Gesicht.
    »Der Haß auf ihn wächst von Tag zu Tag. Gerüchten zufolge ist er ein Agent der Deutschen.«
    »Glaubst du das?«
    »Nein. Aber es reicht, wenn das Volk es glaubt.«
    Mascha lächelte. Sie setzte sich Maksim gegenüber und hob ihre Tasse zum Mund. Er betrachtete ihre Augen über dem Porzellanrand. Schmale, sehr dunkle Augen, dichte Wimpern, gerade Brauen. Augen, aus denen Leidenschaft sprach. Sie merkte, daß er sie anschaute. »Warum«, fragte sie in ihrer direkten Art, »bist du mir nach Petrograd gefolgt?«
    Er zögerte, die Wahrheit zu sagen, entschied sich aber doch dafür.
    »Weil ich dich liebe«, sagte er.
    »Du solltest unsere Sache lieben«, entgegnete Mascha. Maksim war nicht durcheinanderzubringen. »Sagen wir, ich liebe dich, weil du unsere Sache liebst«, korrigierte er sich.Mascha lächelte ironisch. »Tatsächlich? Ich hoffe, es ist so.«
    Sie sah ihn mit derselben Aufmerksamkeit an, mit der er gerade noch sie betrachtet hatte, und dachte: Ich glaube nicht, daß er durchhält.
    An seiner Überzeugung hatte sie nie gezweifelt, wohl aber von Anfang an an seiner Kraft, sie durchzusetzen. Sie war nicht sicher, ob er wußte, was auf ihn zukam und welche Konsequenzen

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