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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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vor dem Moment des Sterbens. Ich fürchte mich vor Schmerzen. Was meinst du, wie ist es, wenn sie einen erschießen? Glaubst du, es tut weh? Vielleicht krampft sich das Herz zusammen, vielleicht kämpft es, versucht zu schlagen, während schon das Blut aus dem Körper rinnt. Ob ich Luft kriegen werde? Davor habe ich am meisten Angst, daß es wie Ersticken sein könnte. Alex, glaubst du...«
    »Ich weiß es nicht! Herrgott noch mal, ich weiß es nicht!« Anden Blicken der Wachsoldaten erst merkte Alex, daß er zu laut gesprochen, vielleicht sogar geschrien hatte. Seine Hände zitterten. Er konnte nicht mehr, es reichte ihm. Irgendwo mußte er noch eine Schnapsflasche haben. Das war das einzige Mittel, mit dem Leben fertig zu werden. »Die treueste Geliebte«, hatte er früher oft vom Alkohol gesagt, »sie läßt einen Mann nie im Stich.« Seit drei Tagen hatte er sie nicht mehr angerührt. Weiß Gott, es wurde höchste Zeit!

4

    »Seine Majestät der Zar Nikolaus II., Ihre Hoheiten die Großfürstinnen Olga, Tatjana, Maria und Anastasia!« Die Stimme des Türstehers zog die Augen aller Anwesenden wie magisch zur Tür. Die Herren verbeugten sich, die Damen versanken im tiefen Hofknicks. Felicia, im grünen Seidenkleid von Tante Belle, knickste ebenfalls, schlug aber nicht die Wimpern nieder, sondern betrachtete die Ankommenden genau. Wie aufregend, dachte sie, das also ist der Zar von Rußland!
    Sie sah ein schmales, melancholisches Gesicht, schläfrige Augen, abfallende Schultern. Einen Moment lang begegnete ihr Blick dem des Zaren; sie lächelte unwillkürlich. Sie fand ihn nicht unsympathisch, eher ein wenig bemitleidenswert. Ein Mann, der Angst hatte um seinen Thron, vielleicht auch um seine Familie...
    Die vier Großfürstinnen waren sehr hübsch. Maria und Anastasia, die beiden Jüngsten, trugen die langen Haare offen und flüsterten kichernd miteinander. Sie schienen sich bei dem kleinen Weihnachtsempfang ihres Vaters im Winterpalast hervorragend zu amüsieren. Olga und Tatjana blickten ernster drein. Sie sprachen niemanden an, beobachteten stumm die Tanzenden, besonders die Offiziere des Zaren.
    Als der Champagner gereicht wurde, gingen die Wogen bereits hoch. »Die Zarin ist nicht dabei. Ich habe es gewußt, ich habe genau gewußt, daß sie nicht kommen würde!«
    »Sie sollte in der Lage sein, sich mehr zusammenzunehmen.«
    »Es ist wegen Rasputin. Sie soll schwermütig sein, seitdem man ihn ermordet hat.«
    »Sie war immer schwermütig. Ob Rasputin wirklich mit ihr und ihren Töchtern...«
    »Pssst!«
    Rasputin, Rasputin, Rasputin. Und: Psst, psst, psst! Mehr konnte Felicia aus dem Stimmengewirr um sie herum nicht ausmachen, dazu verstand sie viel zu wenig russisch. Aber allein schon die geheimnisvollen Mienen der Gäste, die vielen Kerzen, die fallenden Flocken vor den Fenstern reizten alle ihre Sinne. Eine fremde, dunkle Welt, dieses Rußland. Sie war in Petrograd. Sie war im Schloß des Zaren. Sie trug ein Kleid aus Seide und trank Champagner. Sie hatte das Lager überlebt!
    »Fürst Jusupow soll mit der Ermordung des Starek zu tun haben. Glauben Sie, das stimmt?«
    »Meine Liebe, da können Sie absolut sicher sein. Es soll übrigens viele Stunden gedauert haben, ehe Rasputin tot war...«
    »Pssst!«
    Beim Tanzen kam Felicia einmal dicht am Zaren vorbei, der sich mit einigen seiner Offiziere, darunter auch Onkel Julius, unterhielt. Wieder kreuzten sich ihre Blicke. Und wieder schoß Felicia jene Prophezeiung Rasputins durch den Kopf, über die in den letzten Tagen überall geredet wurde: Sei er erst einmal tot, werde es nicht lange dauern, bis das Ende des Zaren herankäme.
    »Der Thronfolger ist auch nicht hier. Seine Majestät bringt ihn sonst immer mit.«
    »Er wird wieder krank sein.«

»Es ist schon nicht leicht, was diese Familie zu tragen hat.«
    Felicia beschloß, eine Tanzpause zu machen. Sie sah sich nach Kat um. Dort hinten saß sie, ganz allein, und sie schien sehr erschöpft. Der Typhus hatte ihre letzten Kraftreserven aufgezehrt. Tante Belle sorgte unermüdlich für sie, Dr. Luchanow, der grauhaarige, freundliche Hausarzt der Familie, kam beinahe täglich, um nach ihr zu sehen, doch ihre schmalen Wangen nahmen keine Farbe an, ihre Augen blickten glanzlos. Es schien ihr beinahe gleichgültig, daß Julius von Bergstrom estatsächlich geschafft hatte, sie beide nach Petrograd kommen zu lassen. Felicia ärgerte sich darüber. Sie dachte daran zurück, wie sie im Lager für Kat Butter und Brot

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