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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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Selbstbewußtsein.
    Die ganze Nacht über hatte er davon gesprochen. Nina dachte daran, als sie durch die dunklen Straßen durch den frühen Morgen dem Haus von Oberst Bergstrom zulief. An Jurijs Worte von der Revolution - und daran, was sie selber gesagt hatte. Sie hatte ihm vorher schon hundertmal von ihrem Leben als Hausmädchen erzählt, aber nie mit soviel Haß und solcher Wut in der Stimme wie in jener Nacht.
    »Schikaniert hat sie mich, die alte Bergstrom, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Nina, tu dies, Nina, tu das! Die Haare hab' ich ihr gekämmt, ihr die hübschen Kleider rausgesucht, wenn sie zum Ball ging, ihr den Schmuck um den feinen Hals gelegt!« Ninas Stimme hatte plötzlich hoch und gekünstelt geklungen. »Nein, Nina, die Granatkette habe ich letzte Woche zum Geburtstag der Zarin getragen. Gib mir lieber die Smaragde! Paß doch auf, nun hast du die Ohrringe fallen lassen!
    - Oh, Jurij, du ahnst nicht, wie viele Nächte ich mir um die Ohren geschlagen habe, wenn ich auf sie warten mußte! Und dann kam sie... schön sah sie aus, sehr blaß, denn sie wurde immer blaß, wenn sie einen Schwips hatte, und dazu der volle, dunkelrote Mund. Sie schleuderte ihre Stöckelschuhe von den Füßen und lachte. ›Nina, hol uns eine Flasche Champagner!‹
    Mitten in der Nacht, verstehst du, mitten in der Nacht trank die Champagner wie andere Leute Wasser. Sie saß auf dem weißen Teppich vor dem Kamin, und dann kam Monsieur ins Zimmer, der schöne Monsieur, und sie beteten einander an. Zwei soschöne Menschen... so vollkommen und schön...«
    Noch jetzt in der Erinnerung nahm Ninas Gesicht einen harten, bitteren Ausdruck an. Vergangene Demütigungen brannten wieder, der über Jahre hin aufgestaute Haß entfachte sich am Feuer der Revolution neu. Während sie in Jurijs Armen gelegen hatte, waren ihr böse, schwarze Gedanken durch den Kopf gegangen. Rache... so viele Menschen sprachen in diesen Tagen von Rache. Vielleicht war dies nun die Stunde, auf die sie immer gewartet hatte. Sie kannte eine ganze Menge Leute in Petrograd, Männer vor allem, wovon Jurij natürlich keine Ahnung hatte. Auch Männer, die nicht ganz ohne Einfluß waren und die ihr durchaus noch manchen Gefallen schuldig waren. Schließlich war sie immer außerordentlich nett zu ihnen gewesen. Wenn man denen erklärte, daß im Hause Bergstrom nicht alles mit rechten Dingen zuging, daß dort zwei deutsche Mädchen seit Wochen lebten, keine Baltendeutschen, nein Reichsdeutsche... Vielleicht wäre das für manchen in Petrograd recht interessant.
    Nina blieb stehen, drehte sich entschlossen um und ging in die entgegengesetzte Richtung davon. Dann kam sie eben heute zu spät, wen kümmerte es noch? Die Zeiten änderten sich. Madame hatte ihr sowieso nichts mehr zu sagen. Sie bog in eine Seitenstraße ein und lief immer schneller.

    Felicia blieb bis zum frühen Nachmittag im Bett. Sie hatte in der letzten Nacht schlecht geschlafen und war zweimal herzklopfend aus bösen Träumen aufgeschreckt. Nun ging ihr Maksim im Kopf herum; mürrisch vergrub sie ihr Gesicht in den Kissen. In der Ferne fielen wieder Schüsse. Die Kämpfe hatten erneut begonnen.
    Könnte ich doch dabei sein, dachte Felicia, könnte ich doch sein wie Mascha! Könnte ich doch verstehen, wofür er kämpft!
    Sie wußte, es würde ihr nicht gelingen, ihm etwas vorzuspielen.
    Sie konnte keinen Idealismus heucheln, den sie nicht empfand. Es interessierte sie nicht, ob die Welt besser würde, sie konnte nicht so tun, als seien Revolution und Klassenkampf ihr brennendes Anliegen.
    Sie hatte nichts dagegen, sich hin und wieder zu verstellen und auf geheimen Umwegen ihre Ziele zu erreichen, doch dies ging zu weit. Gliche sie sich einer Frau wie Mascha an, dann bedeutete das eine völlige Verleugnung ihres eigenen Wesens, und instinktiv ahnte sie, daß sie dann irgendwann beginnen würde, Maksim zu hassen.
    Als schließlich der Hunger allzusehr in ihr nagte, stand sie auf, zog einen Morgenmantel von Belle an und lief auf bloßen Füßen in die Küche hinunter. Die Köchin sah ihr verzweifelt entgegen. »Wenn Sie wollen essen, nichts da«, sagte sie in ihrem gebrochenen Deutsch, »kein Brot, kein Kuchen, kein Fleisch. Nichts! Gibt nichts zu essen!«
    »Ja, aber irgend etwas muß doch da sein«, sagte Felicia und fing an, in den Schränken zu wühlen. Nichts zu essen, das gab es gar nicht. In einer zivilisierten Stadt! Sie fand ein Päckchen mit trockenen Keksen und fragte, ob sie die haben

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