Sturmzeit
Kleider brauchen wir dort jedenfalls nicht.«
»Ob wir mit dem Auto bis zum Bahnhof kommen?« fragte Kat zweifelnd. »Sehen Sie, Belle, es schneit schon wieder!«
Tatsächlich trieben weiche, weiße Flocken durch die Dunkelheit.
»Wir schaffen's schon«, entgegnete Belle, »betet lieber, daßnoch ein Zug geht heute nacht!«
Julius von Bergstrom kam die Treppe in die Halle hinunter. Er trug einen Mantel über der Uniform und eine Pelzmütze auf dem Kopf. Im Kerzenschein sah sein Gesicht weiß und zermartert aus.
Belle zog Nicola Mantel, Schal und Handschuhe an. »Hast du Lust zu einem Ausflug, Nicola?«
»Wohin?«
»Zu deiner Großmutter nach Estland. Ist das nicht schön?«
Unbemerkt verließen sie endlich das Haus. Grimmige Kälte empfing sie, der Schnee wirbelte ihnen ins Gesicht. Felicia hieltsich ihren Schal vor Mund und Nase. An einem solchen Abend sollte man sein Haus nicht verlassen müssen, dachte sie. Keiner wußte später zu sagen, woher die Soldaten plötzlich aufgetaucht waren. Niemand hatte sie kommen hören. Wie dunkle, gespenstische Schatten traten sie zwischen den Mauern hervor, schwerbewaffnet, mit kalten Mienen.
»Oberst von Bergstrom?« Ein junger Leutnant trat zu Julius hin, unterließ es aber, ihn zu grüßen.
Julius wandte sich nach ihm um. »Leutnant Mirow?«
»Oberst von Bergstrom, Sie sind verhaftet. Ich muß Sie bitten, uns widerstandslos zu folgen.«
Julius nickte. Belle schoß wie ein angriffslustiger kleiner Vogel dazwischen. »Was liegt gegen meinen Mann vor, Leutnant?«
»Bedaure. Darüber gebe ich keine Auskunft.«
»Leutnant Mirow, Sie kennen uns. Sie waren oft Gast in unserem Haus. Sie und mein Mann...«
»Es interessiert niemanden, was früher war«, unterbrach Mirow, »die Zeiten ändern sich. Im übrigen sollten Sie vorsichtig sein. Dies dort«, er wies auf Felicia und Kat, die dem russisch geführten Gespräch verständnislos lauschten, »sind wohl die beiden deutschen Frauen, die seit Wochen in Ihrem Haus leben?«
»Wir sind selber deutscher Abstammung«, erklärte Belle. Mirow ging darüber hinweg. »Ich kann Ihnen nur sagen, Madame, es ist ein Auge auf Sie geworfen worden. Es wurden Briefe abgefangen, zum Teil Briefe an einen deutschen Soldaten in Frankreich. Das wird Konsequenzen haben.«
Julius trat einen Schritt vor. »Ich möchte erklären, daß...«
Wieder schnitt Mirow ihm das Wort ab. »Sie können sich bei Ihrer Vernehmung ausführlich äußern, jetzt kommen Sie bitte.«
»Wann kann mein Mann zurückkehren?« fragte Belle.
Über die Gesichter der Soldaten glitt ein Grinsen. »Ach wissen Sie... Madame«, erwiderte Mirow mit einer Höflichkeit, in der unüberhörbar Verachtung schwang, »es ist womöglich wahrscheinlicher, daß Sie ihn dann wiedersehen, wenn wir auch Sie und die beiden anderen Damen abholen.«
»Leutnant Mirow, ich denke, Sie sind nicht ermächtigt...«begann Julius in scharfem Ton.
Mirows Augen wurden schmal. »Halten Sie den Mund, Herr Oberst. In diesem Land wird jetzt aufgeräumt, und wer schweigt, kommt noch am besten weg. Diesen guten Rat sollten Sie sich merken!«
»Julius! Ich laß dich nicht gehen, ich komme mit!« Belle umklammerte seinen Arm. In ihren langen Wimpern hing eine Schneeflocke; wie sie dort im Dunkeln stand, sah sie aus wie eine Fürstin aus einem russischen Drama, hinreißend schön und verzweifelt, und Felicia dachte, daß sie jeden Mann der Welt hätte erweichen müssen. Nicht aber Mirow. »Keine Eile, Madame, man wird Sie schon auch noch abholen kommen.«
»Julius«, sagte Belle schwach.
Er zog ihre Hand an seine Lippen. »Nicht, Belle, nicht weinen. Mir passiert nichts. Denk jetzt nicht an mich. Auf dich mußt du aufpassen, und auf Nicola, auf Kat und Felicia. Bitte, Belle, mach dir keine Sorgen!«
»Wo werden sie dich hinbringen?«
»In ein Gefängnis vielleicht, oder in eine Kaserne, ich weiß es nicht. Es ist unwichtig, Belle, weil wir uns wiedersehen und weil alles so wird, wie es war.«
In einem schmerzhaften Begreifen sah sie ihn an. Es war, als ginge ihr in diesem Moment erst auf, was die Revolution wirklich bedeutete. Sie blickte ihrem Mann nach, wie er zwischen den Soldaten in der Dunkelheit verschwand, eine Sekunde lang schien sie in der Gefahr, in Tränen auszubrechen, dann ballte sie die Hände in den dicken Fellhandschuhen zuFäusten.
»Mami, wo geht Vater hin?« fragte Nicola.
Belle zog sie an sich. »Er kommt wieder, Nicola, er kommt wieder.«
»Machen wir dann jetzt keine
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