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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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Mädchen!«
    Er betrachtete sie von Kopf bis Fuß. »Für mich schon. Also, wo wohnt Tante Belle?«
    Mit verhaltener Wut in der Stimme nannte sie die Adresse. Maksim hob resigniert die Hände. »Das ist am anderen Ende der Stadt. Da kommen wir jetzt nicht durch. Die Brücken sind alle gesperrt. Ich fürchte, bis heute abend mußt du in unserer Wohnung bleiben.«
    »Unserer...?«
    »Meine und Maschas.« Absichtlich hatte seine Stimme einenbrutalen Klang, als er das sagte.
    Felicia wurde blaß. »Vielen Dank. Dann irre ich lieber weiter durch die Straßen.«
    »Unsinn. Das wäre Selbstmord. Du bist deutsch, und die bourgeoise Abstammung sieht man dir auf zwanzig Schritt Entfernung an. Also hab dich jetzt nicht so!« Er packte grob ihren Arm. Während sie durch die Straßen eilten, fragte er sich wieder und wieder, womit er diese Situation verdient hatte.

    Das hier, dachte Mascha, ist sicherlich das absurdeste und verrückteste Zusammentreffen von Zufällen, das es je gegeben hat. Maksim und Felicia und ich inmitten der russischen Revolution! Sie wußte nicht mehr sicher, wie sie in ihre Wohnung, in ihren Keller gelangt war. Nicht allein jedenfalls. Genossen hatten sie gefunden, als sie in der geplünderten Bäckerei in ihrem Blut lag, hatten sie aufgehoben und nach Hause gebracht, halb gestützt und halb getragen.
    »Du brauchst einen Arzt, Mascha«, sagte der bärtige Student, der ihr Bein untersucht und notdürftig abgebunden hatte, »die Kugel muß raus.«
    »Kannst du das nicht machen, Ilja?«
    »Erstes Semester Medizin, ich hab' praktisch keine Ahnung. Und kein Gramm Chloroform.«
    Maksim und Felicia kamen an, als die anderen gerade losgezogen waren, einen Arzt zu suchen.
    »Ach, nein«, sagte Mascha, als sie Felicia erblickte, »wo kommt denn die jetzt her?«
    Maksim kniete neben ihr nieder. Vorsichtig streifte er ihr blutiges Kleid in die Höhe und betrachtete die Verletzung. Felicia schluckte. Die Wunde sah scheußlich aus.
    »Eine Polizistenkugel«, erläuterte Mascha, »ich dachte wirklich schon, meine letzte Stunde sei gekommen.« Ihr Blickstreifte wieder die blasse Felicia in ihrem schönen Pelzmantel.
    »Maksim, sag doch, wo hast du sie aufgelesen?«
    »Ich wohne zur Zeit bei Verwandten in Petrograd«, sagte Felicia, und ihre Stimme klang etwas von oben herab, »und ich hatte mich in der Stadt verlaufen. Glücklicherweise traf ich auf Maksim.«
    »Das ist wirklich Glück. Sagen Sie, hat Ihnen Ihr Kindermädchen nie beigebracht, daß eine junge Dame nicht allein durch eine fremde Stadt läuft?«
    »Vielleicht hätte Ihr Kindermädchen das Ihnen beibringen sollen. Ich kann immerhin noch auf eigenen Füßen stehen!«
    schoß Felicia zurück. Sie wickelte den Mantel fester um sich und setzte sich auf einen Stuhl. Angewidert sah sie sich in dem dunklen Keller um. Daß Maksim so armselig hausen mußte! Es sah Mascha ähnlich, daß sie ihm das zumutete. Felicia betrachtete sie und stellte mit einer gewissen Zufriedenheit fest, daß sie sehr unvorteilhaft aussah. Die Schmerzen verzerrten ihr Gesicht, ihre Lippen waren rauh und aufgesprungen, die Brauen hoben sich schwarz und streng von ihrer gelblichen Haut ab. Allerdings schien Maksim das gar nicht zu bemerken. Er betrachtete sie angstvoll und hatte einen Ausdruck in den Augen... Himmel! Felicia erhob sich brüsk. In seinem Blick lag zuviel, worüber sie nicht nachdenken mochte.
    Nach einer Weile erschienen zwei Genossen, einen Arzt im Schlepptau. Alle sprachen auf einmal russisch miteinander, so daß Felicia kein Wort verstand... Der bärtige Student sah zu ihr hinüber und stellte dann Maksim eine Frage, die der kurz und desinteressiert beantwortete. Felicia wußte, daß sie provokant wirkte, aber das hätte sie überhaupt nicht gestört, wäre nicht Maksim auf Seiten der anderen gewesen.
    Nie hatte sie die tiefe Kluft zwischen sich und ihm stärker gespürt. Sie sehnte sich nach Hause und kämpfte mit den Tränen.
    Alle scharten sich um Maschas Lager. Der Raum roch durchdringend nach Chloroform. Sie hatten ihr einen Lappen mit dem Betäubungsmittel über den Mund gelegt, und der Arzt begann, die Kugel herauszuschneiden. Felicia starrte angelegentlich durch den schmalen Fensterspalt, der direkt unter der Decke lag und den Blick auf das Pflaster der Straße freigab. Ihr war immer übel geworden von Chloroform, schon im Lazarett. Damals hatte sie sich keinerlei Mühe gegeben, ihre Schwäche zu verbergen; erreichte sie es damit doch meist, vom Dienst am

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