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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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wieder schlugen sogar ihre Zähne leise aufeinander. Felicia fühlte sich davon entnervt, schluckte eine bissige Bemerkung aber herunter. Ich kann ihr das Frieren nicht verbieten, dachte sie.
    Endlich tauchte Belle wieder auf, mit ihrem blassen Gesicht und dem dunkelroten Haar über dem schwarzen Mantel die schönste Frau, die sich in dem überfüllten Bahnhof herumtrieb. Ihr Anblick gab Felicia einen Stich. Nun, da sie die Wahrheit kannte, sah sie schärfer hin, und alles, was sie an Belle interessant gefunden hatte - die blutleeren Wangen, die tiefen Augenringe - empfand sie jetzt als bedrohlich.
    Auf einmal hatte sie den Eindruck, gleich weinen zu müssen,aber sie riß sich zusammen. »Tante Belle! Endlich! Hast du...«
    »Fahrkarten? Ja. Der Zug müßte gehen, meinte der Schaffner. Aber Genaues weiß er auch nicht. Es kann eine lange Nacht werden.«
    Es wurde eine lange Nacht. Sie betteten Nicola schließlich auf ein Lager aus Taschen und Koffern, damit wenigstens sie schlafen konnte. Kat kauerte sich auf den Boden, ihr Kopf fiel zur Seite, sie nickte ein, um alle paar Minuten aufzuschrecken und sich aus verwirrten Augen umzublicken. Felicia und Belle blieben wach. Einmal fragte Felicia leise: »Sollten wir nicht lieber erst noch mal zu Dr. Luchanow?«
    »Nein.«
    »Wie lange hast du das denn schon?«
    »Ich hielt es für eine unausgeheilte Erkältung, wirklich. Eine Rippenfellentzündung, mit der ich nicht fertig wurde. Erst im Dezember begriff ich, daß...«
    »Du gehörst längst in ein Sanatorium!«
    »Ich weiß. Aber überall sprach man schon von Revolution, und ich wollte Julius um keinen Preis allein lassen.«
    »Er hat es nicht bemerkt?«
    »Er war wenig zu Hause.«
    Sie schwiegen beide. Dann fuhr Belle mit gespielter Zuversicht fort: »Aber du sollst sehen, in Reval bekomme ich das alles in den Griff. Ich werde schrecklich gesund leben. Keine Zigaretten, keinen Alkohol. Lange Spaziergänge an der frischen Luft, Liegekuren, viel Schlaf!« Sie verzog das Gesicht.
    »O Gott, wird das langweilig!«
    Gegen vier Uhr morgens lief der Zug ein. Felicia schüttelte Kat wach, half der vor Müdigkeit weinenden Nicola auf die Beine und klaubte die Gepäckstücke zusammen. »Schnell«, drängte sie, »beeilt euch! Kat, halte auf jeden Fall Nicola gut fest!«
    An den Waggons herrschte ein unbeschreibliches Gedränge. Schreiende Menschen, Arme, Beine, Koffer, ein bellender Hund irgendwo dazwischen. Felicia kämpfte sich ins Innere des Wagens, streckte dann die Hände aus und zog Belle, Kat und Nicola nach. Ein Mann beschimpfte sie auf russisch; sie vermutete, wegen ihrer Rücksichtslosigkeit, aber sie antwortete nicht. Sie wollte sich nicht als Deutsche zu erkennen geben. Sie ergatterten zwei Sitzplätze in einem Abteil. Felicia bestand darauf, daß sich Kat und Belle setzten und Nicola abwechselnd auf den Schoß nahmen. Sie selber blieb stehen, fest an einen dicken Mann gepreßt, eingekeilt zwischen zwei Frauen, die sich laut schreiend über sie hinweg unterhielten. Die Räder des Zuges stampften, die Lokomotive zischte und schnaufte. Draußen war tiefe Nacht. Es schneite unermüdlich. Petrograd blieb zurück, und im Osten malte noch immer ein Feuer seinen hellen Schein an den Himmel.

    Sie waren fast zwei Tage unterwegs. Immer wieder blieb der Zug aus unerfindlichen Gründen stundenlang stehen. Als sie die Narwa überquerten und nach Estland kamen, atmete Belle auf. »Gott sei Dank. Jetzt sind wir schon fast daheim.«
    Es schneite und schneite, als sie in Reval ankamen. Mit schmerzenden Knochen und schwankend vor Müdigkeit kletterten sie aus dem Waggon. Belle, die sich siebenunddreißig Stunden lang tapfer gehalten hatte, fing, kaum daß sie auf dem verschneiten Bahnhof stand, wieder zu husten an und flüchtete in die Damentoilette. Die anderen drängten in die Bahnhofshalle, wo Kat und Nicola das Gepäck bewachten und Felicia sich um heißen Tee anstellte. Ihr war ganz schwach vor Hunger, aber es gab nichts Eßbares zu kaufen. Als sie den ersten Schluck Tee trank, ging es ihr besser. Draußen brach schon wieder die Dunkelheit herein, die Welt versank imSchneetreiben. Sie hielt sich an ihrem Becher fest, fühlte etwas Kraft und Wärme durch ihren Körper rinnen.
    Plötzlich dachte sie an Maksim. Ob er merken würde, daß sie verschwunden war?
    Nach einer Ewigkeit kehrte Belle zurück. Sie hatte herausgefunden, daß der Zug nach Jowa planmäßig abgehen würde, aber als sie bei Julius' Mutter hatte anrufen wollen, war

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