Sturz Der Engel
dachte ich … ich dachte, ich würde nie mehr ein Kind bekommen.« Die Wächterin mit dem silbernen Haar schüttelte traurig den Kopf. »Ich hätte nicht gedacht, dass mir dieser Gedanke einmal wehtun würde, aber es hat wehgetan. Wirklich. Und nach dem ersten Kampf hier habe ich beschlossen, dass …« Siret unterbrach sich. »Ihr seid mir doch nicht böse?«
»Ich war schon etwas wütend, aber nicht auf dich«, erklärte er.
»Ihr seid gekommen, als ich … als wir Euch gebraucht haben.«
»Auch da habe ich es noch nicht gewusst. Ich wusste nur, dass meine Hilfe gebraucht wurde.«
Siret schlug einen Augenblick die Augen nieder. »Ich gehöre Euch nicht, ich werde niemals einem Mann gehören. Aber … aber ich bin froh, dass Ihr Kyalynns Vater seid.«
Nylan wandte den Blick ab. »Das ist nicht leicht für mich.«
»Ihr seid Heiler und Ingenieur. Die andere Heilerin … wisst Ihr eigentlich, dass sie weint, wenn sie glaubt, dass niemand es sieht?«
Ayrlyn, die beherrschte und tatkräftige Heilerin und Händlerin? »Nein, das wusste ich nicht. Oder … vielleicht sollte ich es auch nicht sehen.« Er überlegte. »Und du, Siret? Was ist mit dir? Was ist mit der Fähigkeit, nachts sehen zu können, mit dem Eindruck, dass du Dinge spürst, die du nicht sehen kannst?«
»Es hilft. Dies ist eine eigenartige Welt, aber in gewisser Weise besser als das, was ich hinter mir gelassen habe.«
»Dann wünsche ich dir, dass du immer so denken wirst.« Nylan räusperte sich. »Und dass du lernst, deine neuen Fähigkeiten gut zu nutzen.«
»Ich hoffe, Kyalynn besitzt ebenfalls solche Fähigkeiten. Ich möchte, dass aus ihr mehr wird als nur eine Wächterin.« Siret blickte nervös zur Treppe, als fürchtete sie, Ryba könnte kommen.
Kyalynn gähnte.
»Nun, dann … dann arbeite an deinen Fähigkeiten, um sie zu entwickeln.« Nylan zog den Finger vorsichtig aus Kyalynns schläfriger Hand und richtete sich auf.
Siret lächelte und stand ebenfalls auf. »Ich muss sie schlafen legen, wann immer sich die Gelegenheit bietet. Ellysia kann auf sie aufpassen, während ich trainiere und ein paar Dinge für mich selbst erledige.«
Nylan ging zu Istril und Weryl hinüber, die am Nachbartisch saßen. Weryl starrte aus grünen Augen Nylan an, als dieser näher kam.
»Er erkennt seinen Vater«, bemerkte Istril leise.
»Ich hätte es viel früher bemerken sollen. Es gab ja einige Hinweise, aber ich hätte nie gedacht …« Nylan schüttelte den Kopf.
»Ich mache Euch keinen Vorwurf. Es war schließlich meine Entscheidung. Ihr habt mir zweimal das Leben gerettet.« Istril lächelte müde. »Und ich weiß nicht einmal, wie ich Euch anreden soll. Teilweise seid Ihr für mich immer noch ein vorgesetzter Offizier, den ich mit ›Ser‹ anreden muss, aber teilweise seid Ihr einfach Nylan.«
»Du kannst mich nennen, wie es deinem Gefühl entspricht.«
»Also Nylan, wenn wir unter uns sind, und ›Ser‹, wenn andere dabei sind.«
Nylan lächelte. »In Ordnung.«
»Wisst Ihr«, sagte Istril leise, »ich sitze jetzt hier fest. Als ich auf die Jagd gegangen bin, vor allem im letzten Sommer, habe ich mich weit hinunter gewagt. Die Luft dort war so heiß und stickig, dass ich glaubte, ich könnte nicht atmen. Ayrlyn könnte es schaffen, sie kommt ja aus Svenn. Ich selbst könnte da unten nicht leben. Die Wächterinnen, die mit ihr gehen, verlieren an Gewicht und brauchen danach Tage, bis sie sich wieder erholt haben. Deshalb nimmt Ayrlyn jedes Mal andere mit. Ihr seid nur Halbsybraner, Ihr könntet mit dieser dicken, schwülen Luft zurechtkommen. Weryl sicher auch. Er ist jung … aber ich, ich könnte das nicht.« Sie zuckte mit den Achseln. »Es ist nicht schlecht hier und es wird langsam besser. Ich bin froh, dass Blynnal jetzt da ist.«
Weryl streckte die Ärmchen aus, als wollte er Nylan berühren. Nylan nahm eine kleine Hand und spürte, wie Weryls Finger sich um seine schmiegten.
»Ooooh …«
»Er mag Euch.« Istril setzte sich den Jungen aufs andere Knie, damit er näher bei Nylan war.
»Das will ich doch hoffen.«
»Was werdet Ihr als Nächstes tun?«
»Gleich jetzt muss ich mir einen schnelleren Weg überlegen, Pfeilspitzen zu schmieden. Wir brauchen eine Menge davon. Wenn ich dieses Problem gelöst habe, werde ich eine Sägemühle planen und bauen …«
Nach einer Weile richtete Nylan sich wieder auf.
»Ich verstehe es, Nylan, wenn Ihr nicht zu viel Zeit mit mir verbringen wollt. Aber kommt doch ab und zu mal vorbei
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