Sturz Der Engel
Ebenen gegangen sein«, überlegte Nylan.
»Er versucht sicher schon, ein Heer aufzustellen, um Westwind anzugreifen«, fügte Ryba nach kurzem Schweigen hinzu.
Nylans Magen stürzte ins Bodenlose. Ryba hatte nicht nur spekuliert.
»Meint Ihr, er wird Erfolg haben?«, fragte Huldran.
»Er hat eine Menge Geld und alte Waffen mitgenommen«, erinnerte Ayrlyn sie.
»Ich glaube, wir werden ihn im Spätsommer vor der Ernte wiedersehen«, meinte Ryba. »Dann sind die Söldner billiger.«
»Er wird irgendetwas Hinterhältiges versuchen, er ist der Typ dafür«, sagte Huldran.
»Das stimmt«, bestätigte Ryba.
Nylan hielt Dyliess’ suchende Hand gerade noch rechtzeitig fest, ehe sie seinen Trinkbecher umstoßen konnte. »Langsam, Kleine, langsam. Du trinkst keinen Tee, ich schon.«
Ryba aß schweigend weiter, die Augen blickten ins Leere. Als sie fertig war, streckte sie die Arme aus und Nylan konnte essen.
Dyliess wurde unruhig und Ryba stand nickend auf. »Entschuldigt mich, aber meine kleine Freundin hier will mich jetzt in Anspruch nehmen.« Sie lächelte knapp und ging hinaus.
»Sie ist immer so beschäftigt«, meinte Ayrlyn.
»Das ist ja auch kein Wunder«, erklärte Huldran. »Es gibt so viele Dinge, um die sie sich kümmern muss.«
Nicht nur sie, dachte Nylan bei sich. So geht es uns allen.
Nach dem Abendessen ging Nylan an der fenster- und türlosen Schmiede vorbei den Hügel hinauf und wandte sich nach Norden, bis er eine kleine Ansammlung von Felsen erreichte. Von dort aus konnte er den Rumpf des Landefahrzeugs sehen, das zum Einlagern von Heu benutzt wurde. Die Trockengestelle, zur Hälfte mit Gras bestückt, standen zwischen der Wiese und den höheren Hügeln im Westen. Ein gebrochenes leeres Regal lag umgekippt auf dem felsigen Untergrund.
Im Süden tauchten die ersten hellen Sterne auf, zu beiden Seiten der eisbedeckten Freyja jeweils einer. Als der Abend seinen Fortgang nahm, erschienen immer mehr Lichtpunkte und kein Stern kam Nylan für sich genommen anders vor als jene, die er auf Himmel gesehen hatte. Nur die Sternbilder waren nicht dieselben wie daheim.
Der Wind hatte sich gedreht und wehte jetzt, kühler geworden, aus nördlicher Richtung. Nylan saß auf einem glatten Felsblock und betrachtete den mächtigen Schwarzen Turm und die Äcker dahinter. Im Südosten waren die aus hellerem Stein errichteten Hügelgräber zu sehen. So viele Gräber in so kurzer Zeit, dachte er. Doch er machte sich keine Illusionen. Die Zahl würde noch weiter zunehmen.
»Nylan?«
Er blickte in Richtung der Trockengestelle hinunter.
Ayrlyn stand unten am Fuß der Felsen. »Darf ich zu dir heraufkommen und mit dir reden? Du siehst aus, als könntest du jemanden zum Reden gebrauchen, und mir geht es genauso.«
Nylan lud sie mit einem Winken ein und wartete, bis sie neben ihm auf dem Felsen saß. Im Gegensatz zu Nylan, der trotz der abendlichen Kühle nur mit einem Hemd bekleidet war, trug die Heilerin Hemd, Umhang und die leichte Jacke ihrer Schiffsuniform.
»Ryba und du, ihr redet kaum noch miteinander.«
»Was gäbe es auch zu bereden? Es ist eine unmögliche Situation, ich fühle mich so beschämt. Weryl ist mein Sohn und Kyalynn ist meine Tochter, dabei habe ich Istril und Siret niemals angerührt.« Er lachte, es war ein leises, aber hartes Geräusch. »Höchstens mit einem Stück Holz beim Übungskampf. Zudem habe ich das Gefühl, Ryba erwartet von mir, dass ich sie ignoriere. Aber auch wenn es nicht meine Absicht war, es sind meine Kinder.«
»Du treibst dich so sehr an. Siret und Istril wissen das.«
»Aber zählt es denn, wenn man es nur versucht? Oder hat nicht doch vielleicht Ryba Recht, wenn sie sagt, dass es nur auf die Ergebnisse und aufs Überleben ankommt?« Er räusperte sich. »Oh, es gibt so viele Religionen und Philosophien, die uns sagen, dass man umsonst gelebt hätte, wenn man kein gutes Leben geführt hat – aber diese Sprüche wurden für Menschen geschrieben, die genug Muße haben, sie zu lesen, und nicht für einen Haufen Leute, die aus einer Hochtechnologie verstoßen wurden und versuchen, auf einem kalten Berggipfel mit primitiven Mitteln zu überleben …«
»Sprich nur weiter«, ermunterte Ayrlyn ihn.
»Ich pfusche eine Infrastruktur zusammen, deren Aufbau normalerweise Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern würde – und gleichzeitig muss ich mir überlegen, wie man mit dieser rückständigen Technik hier die Waffen bauen kann, an denen Ryba die neuen Rekrutinnen ausbilden
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