Sturz Der Engel
will. Jedes Mal, wenn jemand stirbt, tut es weh.«
Ayrlyn nickte.
»Aber ich soll auch das ignorieren.« Er überlegte kurz. »Ich bemitleide mich selbst. Die Toten tun auch dir weh.«
»Überall wartet der Tod, Nylan. Wir hätten auch schon auf der Winterspeer sterben können. Vielleicht sind wir dort sogar gestorben. Vielleicht ist all dies nur eine detailreiche Illusion.«
»Es ist keine Illusion.« Er sah zu den Sternen hinauf. »Da oben habe ich nicht jeden Todesfall so persönlich genommen.«
»Vielleicht ist es besser, wie es hier ist«, wandte Ayrlyn ein. »Dort war der Tod eine keimfreie Angelegenheit, mit der man nichts zu tun hatte. Es ist einfach passiert – Lichtminuten entfernt am anderen Ende des Deenergetisatorstrahls haben sich die Dämonen einfach aufgelöst. Oder andere Engel. Und wir konnten es ignorieren. Aber hier können wir es nicht.«
»Die meisten Menschen können es hier wie dort. Nur wir nicht.«
Ayrlyn berührte ihn am Unterarm.
»Deine Finger sind kalt.« Er nahm ihre Hand in seine Hände und sah wieder nach oben. Die Sterne leuchteten hell. Hell und fremd. Hell und kalt. Er drückte sanft ihre Finger.
CII
S illek wirft die verknitterte und verschmierte Schriftrolle, an deren Kante noch einige Stücke Wachs kleben, auf den Tisch des Wohnzimmers. Dann beugt er sich vor und hebt Nesslek aus den Armen seiner Gemahlin.
»Abgesehen von deiner Mutter bist du die angenehmste Sache, die mir heute widerfahren ist.«
»Bin ich jetzt schon eine Sache?« Zeldyan klingt ein wenig verstimmt.
»Natürlich nicht. So habe ich das nicht gemeint.« Er betrachtet seinen Sohn und lehnt behutsam die Stirn an den Kopf des Jungen. »Nicht wahr? Wir wollten deine Mutter doch nicht beleidigen.«
»Aaah …«, kräht Nesslek.
»Er fühlt sich jedenfalls trotz deiner schönen Worte beleidigt.« Zeldyan lächelt ihren Gatten liebevoll an.
»Könntest du dieses widerliche Stück Papier lesen, das ich da auf den Tisch geworfen habe, und mir sagen, was du denkst?«
»Ich soll mich in die Angelegenheiten meines Gatten einmischen? Das würde deine Mutter aber gar nicht mögen, mein Gebieter.« Wieder lächelt Zeldyan, dieses Mal ein wenig ironisch, und nimmt die Schriftrolle an sich. »Warum soll ich das lesen?«
»Du kennst den Grund.« Sillek lacht. »Aber ich sage es dir trotzdem. Weil du die Tochter deines Vaters bist und einen Kopf zum Denken hast. Er sitzt in Rulyarth fest und versucht, das Durcheinander zu beheben, das die Händler hinterlassen haben, und ich brauche hier jemanden mit einem klaren Kopf, dem ich vertrauen kann.«
»Auch das würde deiner Mutter sicher nicht gefallen.«
»Natürlich nicht. Du hast einen klugen Kopf und du liebst mich. Sie hat unsere Verbindung missbilligt, sobald sie herausgefunden hat, dass ich mich in dich verliebt hatte. Liebe ist gefährlich für Herrscher, Sillek, sagte sie mir. Die Liebe gefährdet die Ehre und stört die Erbfolge.« Er geht zum Fenster und bleibt dort abwartend stehen, Nesslek auf den Armen haltend, bis Zeldyan das Dokument gelesen hat.
Schließlich fragt er sie: »Hast du es durch?«
»Es ist ein Brief von Ildyrom, in dem er auf jegliche Ansprüche auf das Weideland verzichtet. Es sind viele blumige Redewendungen darin, aber ich glaube, darauf läuft es hinaus.«
»Genau.« Sillek spuckt das Wort fast aus. »Ganz genau. Der Brief wurde zusammen mit einer kleinen Truhe voller Goldstücke abgeliefert.«
»Das kommt mir seltsam vor«, grübelt Zeldyan. »Im letzten Jahr hat er eine Festung gebaut, um dir das Weideland wegzunehmen. Ich würde ihm nicht trauen.«
»Ich traue ihm nicht, aber das Angebot ist echt und es ist gefährlich.«
»Es ist gefährlich, wenn du nicht mehr um das Weideland kämpfen musst?«
»Alle meine Grundbesitzer werden erfahren, dass Ildyrom mir den Frieden geschworen hat. Dein Vater hält Rulyarth besetzt und die Einheimischen scheinen mit dem, was er tut, recht zufrieden. Wir haben dem Rat der Kaufleute von Suthya einen Anteil an unseren Einnahmen aus Rulyarth angeboten …«
»Wirklich?«
»Es war die Idee deines Vaters. Das ist für uns beide viel billiger. Sie konnten sowieso keine drei Häfen unterhalten.«
»Aber wir können, was die Kaufleute nicht können?«
»Wenn unser Handel wächst, werden wir es können. Sie waren nur auf schnell verdientes Gold aus.« Sillek zuckt die Achseln und drückt Nesslek an seine Schulter. Das Kind rülpst laut. »Die Bucht ist viel besser als die von Armat
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