Sturz Der Engel
…«
Zeldyan lacht. »Das habe ich doch schon einmal gehört. Und was ist jetzt mit Ildyrom?«
»Es ist geradezu teuflisch. Wir haben mit Suthya und Ildyrom Frieden geschlossen. Unsere Grenzen sind sicher, jetzt sind nur noch die Frauen in den Westhörnern da.«
»Oh.« Das Lächeln schwindet aus Zeldyans Gesicht.
»Siehst du? Die Kiste mit Goldstücken – das ist bereits bekannt. So etwas kann man nicht geheim halten. Die Kiste sagt mir, dass ich Söldner anheuern kann. Die meisten Frauen haben inzwischen die Besitzungen verlassen. Genglois hat mir drei Eingaben geschickt, dass ich endlich etwas tun soll.« Sillek nimmt Nesslek herunter und wischt ihm vorsichtig den Mund ab.
»Was wirst du jetzt machen?«
»Auf Zeit spielen«, sagt Sillek leise. »Unübersehbare Vorbereitungen treffen. Nachrichten an deinen Vater schicken. Auf Zeit spielen und hoffen. Auf einen frühen Winter hoffen oder darauf, dass in Rulyarth oder im Weideland etwas Dringenderes zu erledigen ist.«
»Aber weder Ildyrom noch die Kaufleute werden dir auch nur den geringsten Vorwand bieten, sie anzugreifen, während andererseits deine halsstarrigen Grundbesitzer dich drängen, das Dach der Welt zurückzuerobern.«
»So sehe ich es.« Sillek seufzt. »Doch ich habe noch ein wenig Zeit. Nicht viel, aber ein wenig. Ich habe noch Hoffnung.«
Zeldyans Stirn umwölkt sich leicht, aber sie zwingt sich zu einem Lächeln.
CIII
» W ir reden kaum noch miteinander«, sagte Ryba leise. »Das fehlt mir.«
»Es tut mir Leid. Ich glaube, mir ist meistens nicht nach Reden zumute«, sagte Nylan genauso leise, während er die Wiege schaukelte und im Dunkeln das Gesicht seiner Tochter betrachtete.
»Darf ich fragen, warum?« Die Stimme der Marschallin war ruhig, weich. »Liegt es an mir? Du gehst ja auch zu Ayrlyn und redest mit ihr.«
»Ich mache mir Sorgen. Ich mache mir Sorgen über Dinge, die in Stein gemeißelt zu sein scheinen. Wenn ich mit dir rede, habe ich oft das Gefühl, wir drehen uns im Kreis.« Als Ryba nicht antwortete, sprach er, unverwandt Dyliess anschauend, nach einer Weile weiter. »Es geht zwischen uns hin und her und wir sagen immer die gleichen Dinge. Wenn du versuchst, ohne Gewalt auszukommen, sterben die Menschen. Wenn ich keine Türme und Waffen und etwas aufbaue, das man als militärische Infrastruktur bezeichnen könnte, werden die Menschen sterben. Wenn du nicht die Tyrannin spielst und ich nicht den Zuchthengst mache, werden unsere Kinder keine Zukunft haben.« Er brach ab und schwieg.
Ryba antwortete immer noch nicht und so fuhr er fort, die schlafende Dyliess zu wiegen und zu beobachten. Nach einer Weile ergriff er wieder das Wort. »Während mir jedes Mal das Töten mehr wehtut, werde ich immer besser darin, Waffen herzustellen und einzusetzen. Ich kann nicht von dir, Istril oder Siret oder der kleinen Dephnay weggehen, die niemals ihre Mutter und ihren Vater kennen lernen wird – das ist jetzt nicht möglich. Aber ich frage mich immer wieder, wie lange ich noch so weitermachen kann.« Er grinste unglücklich, auch wenn er sicher war, dass Ryba es im Dunkeln nicht sehen konnte. »Wie lange wird es noch dauern, bis ich in einer Schlacht so blind werde, dass jemand mich aufspießt? Und wenn ich nicht die mir zustehenden ein oder zwei Gegner töte, wen von unseren Leuten werden sie dann umbringen?«
»Glaubst du, mir gefällt es?«, fragte Ryba. Ihre Stimme war immer noch ruhig. »Ich kann nichts verlangen, wenn ich nicht gleichzeitig auf die eine oder andere Weise mit Gewalt drohe. Ich kann niemanden dazu bringen, das zu sehen, was ich sehe. Wenn ich es mit Vernunft versuche, wehrst sogar du dich gegen mich. Wenn ich es mit Zwang und Tricks versuche, wie stehe ich dann da? Aber ich muss es tun, wenn ich eine Tochter haben will und wenn ich will, dass sie eine Zukunft hat. Ich habe nicht viele Wahlmöglichkeiten, Nylan. Du übrigens auch nicht.«
Nylan betrachtete Dyliess’ friedliches, unschuldiges Gesicht. Waren wir auch einmal wie sie? Zwingt uns das Leben, immer wieder Gewalt und Macht einzusetzen, nur damit wir überleben?
»Du hast Visionen der Dinge, die kommen werden, und wenn du deinen Visionen nicht folgst, werden die Menschen leiden und sterben«, sagte Nylan schließlich. »Das hast du mir gesagt und das sehe ich ein. Ich sehe es, aber das heißt nicht, dass es mir gefallen muss.«
»Ich will nur, dass wir frei sind – die Wächterinnen, ich selbst, Dyliess. Ich will nicht, dass wir in einer
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