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Sturz der Tage in die Nacht

Sturz der Tage in die Nacht

Titel: Sturz der Tage in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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diesem Gegenstand ihre Hose aufmachte. Ich fasste sie an, ich öffnete den Reißverschluss ihrer Jeans. Ich machte das nicht schnell und nicht langsam. Ich machte es, ohne zu überlegen, und so, dass sie meine Hand jederzeit wegschieben konnte. Aber sie reagierte nicht. Sie saß da, als ginge sie das nichts an. Ich drängte mich an sie. Ich zog den Reißverschluss auf und schob meine Hand, die ein Gegenstand war, in ihre Hose. Ihr Körper war warm. Ich spürte ihre Wärme und den Haarflaum und den Stoff ihres Slip, ich zwang ihrem Körper meine Hand auf. Ich zwang sie zu reagieren, wenigstens körperlich, wenn ihr Gesicht schon nicht reagierte, wenn ihr Gesicht so reglos blieb. Wir sagten nichts. Ich spürte, wie sie nass wurde, den Kopf zurücklegte und kam.
    Vielleicht ist es Einbildung. Vielleicht sind das Bilder, die der Rausch verursacht hat, das Atropin im Blut. Aber die Bilder sind so deutlich, als würde das alles jetzt geschehen, als geschehe es noch immer. Die Aggression ist noch da, das Brennen im Hals, die Schwerelosigkeit.
    Ich zwang Inez zu mir zurück.
    »Darf ich hierbleiben über Nacht?«
    »Nicht mehr lange, Erik, dann ist es Morgen.«
    Ich sehe mich aufstehen vom Sofa und meine Jacke ablegen. Ich hatte vergessen, sie auszuziehen. Ein Stück Papier fiel herunter. Ich bückte mich. Es war die Visitenkarte, die Feldberg mir gegeben hatte. Ich faltete sie auseinander. Ich machte das automatisch. Meine Finger waren aufgetaut, Inez’ Körper hatte sie gewärmt, trotzdem dauerte es ewig. Dann stand ich da, mitten im Zimmer, und starrte Feldbergs Telefonnummer an, die Adresse, den Firmennamen. MEGA OPERATION & RISK PROTECTION . Auf der Rückseite der Karte stand:
Ihr väterlicher Freund.
    Es dauerte genauso ewig, ehe mir klarwurde, dass das nicht stimmte.
    Was Feldberg eigentlich hatte notieren wollen, war:
Ein Freund Ihres Vaters
.
    Ich sehe mich die Visitenkarte zerreißen. Ich sehe die Schnipsel zu Boden fallen. Ich sehe mich erneut nach der Jacke greifen, um sicherzugehen, nicht noch mehr solcher Maskottchen mit mir herumzutragen. Ich untersuchte beide Jackentaschen. Ich stülpte sie nach außen. Ich wollte alles los sein und fand nur zwei Tollkirschen, die ich im Sommer gepflückt hatte. Sie waren vertrocknet.
    Ich sehe mich vor Inez stehen und ihr die offene Hand hinhalten, die Irrbeeren, die Schlafbeeren, ich sehe mich die Früchte über den Handteller rollen. Ich bin wie weggetreten, ein Zuschauer schon, als ich Inez berührte, und noch bevor ich an einer der trockenen Beeren leckte. Ich war wie weggetreten, als ich ein winziges Stück abbiss, die Bitterkeit auf der Zunge schmeckte, das Grasige, es runterschluckte. Ich schluckte das Zeug voller Angst und im Bewusstsein, mich zu vergiften. Ich wollte das. Ich wollte neben Inez sitzen, die so tot da saß, und gegen meine Angst vor dem Tod auch tot sein. Ich schluckte das bisschen Beere und hielt Inez die geöffnete Hand hin. Ich halte ihr die geöffnete Hand hin, und sie regt sich nicht. Da nehme ich eine der vertrockneten Beeren, beiße noch ein Stück ab, pule es aus meinem Mund, schiebe es ihr zwischen die Lippen, die sie öffnet, automatisch öffnen sich ihre Lippen unter der Berührung meiner Finger, und ich sage
schlucken
, und sie schluckt. Und nach einer Weile beginnt ihr Gesicht auseinanderzufließen, ihr Körper löst sich, löst sich auf. Ich kann nicht unterscheiden, ob Inez sich entspannt oder ob es die Entspannung des Zimmers ist, die auf Inez übergreift, sie überspült, sie langsam auf mich zutreibt. Ich kann nicht sagen, ob sie mit dem Zimmer langsam verschwimmt, in dem ich sitze, ob sie sich um mich herum ausbreitet und mich einhüllt oder ob ich das Zimmer bin. Ich nehme sie in mich auf, lasse sie ein, bis ich ihre Lippen, ihren Mund spüre, an den Schultern, am Hals, an der Stirn. Ihre Hände, ihren Leib, der mein Leib ist, mein Kopf, mein Geschlecht.
     
    Als wir runterkamen, schien die Sonne.
    Mir war übel.
    Ich ging nach draußen und setzte mich auf einen Stein.
    Eiswasser überspülte meinen Schuh und stach in meinen Knöchel. Der Sand war weißgold und schwer. Ein Schiff fuhr ganz hinten auf der Ostsee.
    Später kam Inez zu mir hinaus. Sie berührte meine Schulter. Ich drehte mich zu ihr um, und sie fragte, wie es mir gehe, und es ging mir gut. Ich merkte, wie die Übelkeit in der kalten Luft langsam verschwand. Inez sah schön aus. Sie hatte ihre schmalen, grünen Ohrringe angelegt und sich die Lippen geschminkt, ein

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