Sturz der Tage in die Nacht
Füße.
»Am Telefon«, sagte Ton noch mal. »Ist das zu begreifen? Warum haben wir uns solche Sorgen gemacht?
Feldberg schüttelte seine Arme, Wasser spritzte von ihm weg. »Sie will ihn zu dir schicken? Das hat sie gesagt?«
»Ja.«
Feldberg lächelte. »Sie ruft dich an, und du findest nichts daran seltsam?«
»Finden wir uns nicht alle ein bisschen seltsam?«, sagte Ton aufgeräumt.
»Ausgerechnet, nachdem ich sie an deine Schweinerei erinnert habe, will sie dir einen Gefallen tun?«
»Der weibliche Wahnsinn.«
»Langsam wird mir dieses Gespräch zu primitiv.«
»Du solltest froh sein, Rainer. Seit du hier vor ein paar Wochen wieder aufgeschlagen bist, haben sich keine Fortschritte in der Sache gezeigt.«
»Die
Sachlage
überdenken. Die Prioritäten
neu bewerten
. Erinnerst du dich? Das waren deine Worte.
Abwarten, wie die Dinge sich entwickeln.
«
»Weil du mir weisgemacht hast, du hättest das Vertrauen des Jungen gewonnen! So groß kann’s aber nicht gewesen sein. Ich hatte schon angefangen, an deinem Können zu zweifeln.«
Feldberg streifte die Badekappe vom Kopf. »Das ist nicht der Wahnsinn der Frauen, Felix«, sagte er schließlich. »Das ist vollkommen unwahrscheinlich.«
»Wie auch immer. Dieses Kapitel ist damit abgeschlossen.«
»Ich habe dafür gesorgt, dass sie die Klappe halten wird. Aber sie ist die Letzte, die dabei helfen würde, dir eine eindrucksvolle Legende zu besorgen.«
»Du meinst eine gute Story.« Ton bemerkte einen Anflug von Abscheu, ausgelöst von diesem mageren, weißen Körper, der da vor ihm stand.
»Nenn es, wie du willst.«
»Dein permanentes Misstrauen frisst dich noch auf.«
Feldberg schwieg.
»Erik nimmt die Fähre nach Stockholm und ist spätestens am Mittwoch hier. Und ich kann nicht sagen, dass das auf deinem Konto zu verbuchen ist.«
Feldberg holte Luft.
»Inez hat noch nie logisch gehandelt, Rainer. Gerade du solltest das wissen.«
»Ich habe nichts gesagt«, sagte Feldberg, dem das Wasser aus der Badehose tropfte und die Beine hinabrann.
»Mein Sohn ist im Anmarsch. Inez bietet mir die Friedenspfeife an. Der wiedervereinigte Vater wird ein Aufmacher. Nur du kannst nicht aufhören, Kalter Krieg zu spielen!«
»Bisher hast du meine Dienste gern in Anspruch genommen.«
»Ich werd’s nicht vergessen, wenn ich im Bundestag sitze.«
Rainer nickte und ging zu einem der Stühle, die aufgereiht an der Wand standen. Er nahm sein Handtuch und band es sich um die Hüfte.
»Bevor du irgendetwas an die Presse gibst, Felix«, sagte er, »solltest du die Passagierliste der Fähre überprüfen.«
»Was soll das heißen?«
»Das heißt, dass ich nicht damit rechne, dass er kommt.«
»Gut, Rainer. – Mach du das.«
»Natürlich mach ich das.«
Für einen blitzartigen Moment waren Feldberg und er in der Spiegelung des Schwimmhallenwassers gemeinsam als eine verwackelte Gestalt zu sehen, nackt und im Anzug, bedeckter und unbedeckter Kopf, ein einziger Männerkörper vor dem bewegten hellblauen Grund.
»Das wird dann das Letzte sein, was du in meinem Auftrag machst«, sagte Felix Ton.
Die Flintschale
Die Ostsee ist ruhig.
Nur dort, wo der Bug der Fähre eintaucht, reißt die Oberfläche. Gischt schießt unter dem Heck wirbelnd hervor und zieht sich als weiße Doppelspur in die Ferne, aus der ich komme.
Der Fährmotor stampft. Klintehamn ist noch nicht in Sicht. Ein Wolkenband verdeckt die Küste und den Hafen. Wir scheinen zu treiben. Es gibt keine Anhaltspunkte. Ein paar Möwen, die oben kreisen, drehen in verschiedene Richtungen ab. Nebel zieht auf. Der Kapitän sollte eine Durchsage machen. Er könnte wenigstens die Verspätung bekannt geben. Die Überfahrt von Stora Karlsö nach Klintehamn dauert normalerweise nur eine Stunde.
Oder mein Zeitgefühl spielt verrückt.
Vögel können das Magnetfeld benutzen oder die Krümmung der Erdachse, um zu navigieren. Sie wissen sogar in der eintönigen Weite der Ozeane, wo sie sind. Der Mensch dagegen starrt auf den Horizont, als ob es dahinter einen sicheren Hafen gäbe. Eine einzige Schwachstelle, da hatte Feldberg recht, ist dieses Ich.
Man hört, wie es klappert.
Die Nacht, in der Inez und ich uns gestritten hatten, liegt nicht lange zurück. Sie ist ein oder zwei Wochen her. Aber mir kommt es vor, als wäre sie vor Millionen von Jahren geschen. Und gleichzeitig geschieht sie noch immer.
Sie geschieht jetzt, auf der Fähre auf dem Weg zurück.
Regen und Dunkelheit haben Teile dieser Nacht gelöscht.
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