Sturz der Tage in die Nacht
aber im Leuchtturm wohnte außer uns niemand, und wir blieben allein. Feldbergs gerötetes Gesicht, die über die Nase gesprenkelten Sommersprossen, seine ruhige Stimme. Ich konnte mich dieser aufgeladenen, vielversprechenden Pause, die Feldberg machte, nicht entziehen. Ich wartete darauf, dass dieser Mann mir etwas Entscheidendes sagen würde, etwas, das mir meine Unentschlossenheit erklärte, das mir erklärte, warum ich auf dieser Insel war, warum ich blieb, warum ich nicht längst weitergefahren war.
»Es ist wie ein Sog«, sagte Feldberg versunken. »Sie sind nicht einfach nur jung. Sie strahlen dieses Brennen aus. Das macht Sie sehr anziehend. Sie erleben die Dinge zum ersten Mal. Nicht, weil Sie sie wahrscheinlich tatsächlich zum ersten Mal erleben, das meine ich nicht. Sondern weil Sie sie zulassen. Weil Sie mit einer solchen Unvoreingenommenheit herangehen. Das öffnet Ihnen alle Grenzen.«
»Und das sagt Ihnen Ihre Erfahrung.«
»Wenn Sie so wollen.« Er lächelte. »Ich bin ein Stückchen älter. Und ich habe sie alle gesehen. Jeden Typ Mensch. Ich habe sie in meinem Leben wirklich alle kennengelernt.«
»Auch Inez.«
»Ja.« Feldberg pustete in seinen Tee. »Von den meisten habe ich die übelsten Charakterzüge gesehen. Ihren Kern. Dort, wo sich das Wesentliche zeigt.« Er pustete sorgfältig, bevor er mich über den Tassenrand hinweg ansah. »
Ihnen
gegenüber wird Inez nicht so demütigend reagieren.«
»Ich habe es doch schon gesagt. Sie reagiert überhaupt nicht.«
»Die Menschen erliegen Ihrer Weichheit, Erik. Dieser unverstellten Offenheit. Ihrem unerschrockenen Blick.«
»Inez hat nur ihre Lummen im Kopf«, sagte ich. »Es geht ihr nur um die Vögel. Es geht immer nur darum, ob ich die verdammten Messdaten schon in den Computer eingetippt habe oder ihr bei einer widerspenstigen Alke helfen kann! Am Anfang war der Sog vielleicht da. Sie haben recht. Da war was. Doch. Ich glaub schon. Sie hat mich eingeladen, das wissen Sie ja. Es war nichts Direktes. Aber deshalb bin ich geblieben. Weil es so aussah, als wäre was.« Ich spürte die Enttäuschung, die sich angestaut hatte und hochkam. »Es sah wirklich so aus. Aber jetzt hat sie es wahnsinnig eilig, wenn ich ins Café komme. Wenn ich sie im Hafen treffe, muss sie dringend irgendwelche Listen abgleichen. Ich weiß nicht, wieso ich mich auf dieses dämliche Praktikum eingelassen habe.«
»Sie dachten, Sie würden ihr näherkommen.«
»Ich habe es versucht.«
»Sie sind leidenschaftlich bei der Sache.«
»Nicht mehr. Ich mache mich nicht länger zum Inselclown.«
»Sie hat Ihnen Hoffnung gemacht.« Rainer Feldberg probierte einen Schluck vom Tee. »Das eventuell nur vorgetäuschte Interesse an Ihnen passt übrigens sehr gut zu ihrer schwankenden Persönlichkeit.« Er zuckte zurück. Seine Unterlippe bebte wie ein erhitzter Regenwurm, und schon bereute ich es, so weit gegangen zu sein. Der Moment war vorüber. Es gab nichts, das mich mit diesem Mann verband, außer dass wir zufällig am Morgen gemeinsam in derselben Küche standen und es niemanden sonst zum Reden gab.
»Der Plan war jedenfalls ein anderer«, sagte ich ausweichend. »Aber ich werde nicht den ganzen Sommer damit verbringen, Vogelscheiße wegzuschrubben.«
»Wenn sie Ihnen Hoffnung gemacht hat«, sagte Feldberg leise, »damit lässt sich doch was anfangen.«
Ich ging zur Tür. Ich hatte alles gesagt. Der Moment war vorbei. Dann sagte ich: »Ich hatte überlegt, Inez mal zum Bier einzuladen.«
»Ja und? Wieso haben Sie das nicht gemacht?«, rief Rainer Feldberg erfreut. »Laden Sie sie ein, gleich morgen. Sie werden sehen, das wird für Sie nicht schwer sein! Es wäre auch ganz im Interesse des Vereins. Inez hat stärker einbezogen zu werden. Mir gegenüber empfindet sie verständlicherweise eine gewisse Scheu, aber bei Ihnen; Sie haben doch Charme oder nicht? Vielleicht bringen Sie sie sogar dazu, mal mit mir zu reden. Jetzt, wo Sie wissen, dass man mit mir reden kann. Richten Sie Ihr Verhalten aber so ein, dass Inez unter keinen Umständen erfährt, in welchem Auftrag Sie handeln.«
Angriffsfront Intimleben
, wie Rainer Feldberg das insgeheim nennen würde, was ich damals nicht wusste.
Was ich ebenfalls nicht wusste, war, dass Inez nicht nach Visby gefahren war, um Material zu besorgen. Material wurde regelmäßig über die Fähre bezogen, der Kapitän brachte mit, was Inez telefonisch bestellte, und was nicht mehr gebraucht wurde, lieferte er ebenso regelmäßig an
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