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Sturz der Tage in die Nacht

Sturz der Tage in die Nacht

Titel: Sturz der Tage in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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Lehrjahre sind keine Herrenjahre.« Er nickte mir zu. »Ich mache mir gerade einen Hagebuttentee, trinken Sie eine Tasse mit?«
    »Ich bin eher ein Kaffeetyp«, sagte ich gestelzt.
    »Dachte ich mir. Die Erlaubnis, von der Sie reden, ist ein Auftrag, hier ein paar Untersuchungen durchzuführen.«
    »Ob die Vögel in die richtige Richtung scheißen?«
    »Natur, mein Lieber, ist nicht so mein Fall, es sei denn die menschliche. Ich bin hier, um ein paar Unregelmäßigkeiten zu überprüfen.«
    »Einer von den Wetterfröschen.«
    »Gewisse Vorfälle haben den Verein veranlasst, jemanden damit zu beauftragen, sich hier umzusehen. Nichts Großes, eine Art Rundumcheck, wie man heute sagt.«
    »Sie meinen Ausweispapiere, Arbeitserlaubnis, illegale Einwanderer?«
    »Verspätete Abrechnungen, schlampige Buchführung und eine Führungsperson, die, sagen wir mal, in ihren Kompetenzen schwankt.« Er zwinkerte mir zu. »Sie sind ein aufgeweckter junger Mann. Und jetzt erzählen Sie mal. Wie gefällt’s Ihnen hier?«
    »Mir geht’s gut.«
    »Tatsächlich?«
    »Es gibt kaum Menschen. Es gibt Sonne, Strand und Meer. Und so was wie eine Führungsperson habe ich hier auch noch nicht gesehen.«
    »Da haben Sie’s«, sagte Feldberg und goss den Tee auf. »Das checken sogar Sie als Neuling. Es gibt Auffälligkeiten, die unzweckmäßig und nachhaltig das Betriebsklima vergiften, und spätestens da hat sich der Verein einzuschalten. Ist Ihnen noch nichts aufgestoßen? Sie haben doch direkten Zugang zu den Mitarbeitern.«
    »Aufgestoßen?«
    »Mit Inez kommen Sie klar?«
    »Natürlich komme ich mit Inez klar. Ich sehe sie ja kaum.«
    »Dass Inez Rauter sich unverhältnismäßig stark abkapselt, haben Sie also auch schon bemerkt. Sehen Sie«, sagte Feldberg, »wenn sie das Ihnen oder mir gegenüber tut, ist das ihre Sache, wir beide sind dann zwar die Dummen, nicht wahr, aber es schadet nicht dem Verein. Wenn ihre Sprödigkeit, um nicht zu sagen Kälte, aber den Mitarbeitern gilt, dann wirkt sich das auf die Arbeitsleistung des gesamten Kollektivs aus. Und es weckt den Verdacht, dass sie ihre Stellung missbraucht. Um verdeckt in die eigene Tasche zu wirtschaften.«
    »Sie meinen, sie pflanzt heimlich Cocasträucher an und verkloppt das Zeug an die Drogenbosse in Italien?«
    Feldberg sah mich an. Dann nahm er den Beutel aus der Teekanne und quetschte den Hagebuttensaft heraus.
    »Vielleicht nicht unbedingt die Mafia«, sagte er, als er den Beutel konzentriert in den Mülleimer versenkte. »Aber ansonsten könnten Sie gar nicht so falsch liegen, wie mir gerade auffällt.«
    »Das war ein Witz!«
    »Ach, wissen Sie, Erik«, sagte Feldberg, stützte sich mit einer Hand auf dem Küchenbord ab und goss langsam den Tee ein, ein rotgold leuchtender Teebogen, »ich möchte nicht wie ein alter Mann klingen, der Ihnen einen Schwank aus seinem Leben erzählt. Aber eines können Sie mir glauben: Ich habe schon Pferde kotzen sehen.«
    »Und deswegen mögen Sie keine Natur.«
    »Sie sind wirklich ein intelligenter junger Mann. Das gefällt mir.« Er sah mich an. »Nein«, sagte er dann, »nicht die Natur, sondern ihre Kreisläufe mag ich nicht. Die Zwangsläufigkeit, mit der das Erwartbare auch eintritt. Jetzt zum Beispiel würde ich viel darum geben, wenn ich mit Inez hier in der Küche stehen und so offen reden könnte wie mit Ihnen, Erik. Das würde mir meine Aufgabe wesentlich erleichtern.« Er sah auf einmal erschöpft aus.
    »Und warum tun Sie’s nicht?«
    »Aus dem gleichen Grund, aus dem Sie sie kaum zu Gesicht bekommen vermutlich.«
    »Sie hätten die Macht, Inez dazu zu verpflichten.«
    »Stimmt. Aber sind Sie hier, weil Sie jemand gezwungen hat? Ein offenes Gespräch ist nun mal ein offenes Gespräch. Haben Sie Inez mal gefragt, warum sie so tut, als würde sie mich nicht kennen?«
    »Das höre ich gerade zum ersten Mal.«
    »Sie haben eine Begabung, Erik.«
    »Seit wann kennen sie sich denn?«
    »Das können Sie Inez alles fragen. Glauben Sie mir. Sie müssten sich nur mal sehen. Wie Sie vorhin hereingekommen sind. Und wie Sie jetzt vor mir stehen. Sie haben alles, was es braucht.«
    »Und was ist das Ihrer Meinung nach?«
    »Sie brennen.«
    Einen Moment lang war es still. Der Tee in der fleckigen Glaskanne dampfte, ein dünner, durchsichtiger Nebel, der, als er den Rand der Kanne erreichte, verflog. Heute wünschte ich mir, die Tür wäre aufgegangen und jemand wäre hereingekommen, hätte nach einem Sieb oder einem Abtrockentuch gefragt,

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