Sturz der Tage in die Nacht
er ziehe in meine Haut, lagere sich dort ab, werde für immer in den Poren gespeichert, und bei dieser Vorstellung war mir erneut der Schweiß ausgebrochen.
Ich hatte sie losgelassen. Inez hatte noch eine Weile so dagestanden, ihre Hände an meiner Taille, an die Hauswand gelehnt, wo wir uns geküsst hatten, nachdem sie schon hatte gehen wollen und nicht gegangen war, nachdem sie mich an sich gezogen und leise gesagt hatte:
Vorsichtig, Erik, ja? Ich habe alles verlernt, ich habe die letzten Jahre wie ein Eremit gelebt
.
Sie lehnte an der Hauswand und sah mich an. Aber vor dem hellen Nachthimmel kann ich nur undeutlich zu erkennen gewesen sein, der Umriss eines Jungen, der, wie sie mir später gestand, ungelenk auf sie wirkte, dessen Wildheit sie aber schon anzog, seit ich diesen ungezähmten Galopp über die Felsen hingelegt hatte. Das habe so eine verrückte Schönheit gehabt, hatte Inez gesagt, und sie habe sich gefragt, ob sie mit gerade mal einundvierzig schon so weit war, dass sie die ganz Jungen anziehend fand. Oder ob sie sich damit nur beweisen wolle, dass sie noch nicht aus dem Spiel war, und als ihr diese Frage erneut in den Sinn gekommen sei, habe sie ihre Hände von meiner Taille genommen. Sie küsste mich auf die Wange und ging.
Rainer Feldberg hatte diese Nacht nicht im Leuchtturm verbracht. Sein Zimmer blieb dunkel. Es war still. Ich lag auf dem Bett, ohne zu schlafen. Ich starrte die Zimmerwände an, bis sie auseinanderzudriften begannen und Inez sich mit ihnen entfernte. Im Nachhinein kommt es mir so vor, als wären die ganze Nacht die Wassersportler zu hören gewesen, sehr laut, das Zischen der Glasfieberkörper, der Knall, mit dem die Kajaks, von den Wellenkämmen herabgeschleudert, abprallend auf dem Wasser aufsetzten, das verwischte Schlagen der Paddel, das rhythmische Schlagen des Atems, als lösten sich Minuten und Stunden einfach so auf.
»Du schläfst ja«, sagte Inez am Strand und nahm die Hand von meinen Augen. »Und lässt mich hier die ganze Zeit reden?«
Wenig später hatte Inez einen Anruf vom Inselverein bekommen, der sie zwang, erneut nach Visby zu fahren. Als sie zurückkehrte, war sie gereizt. Sie verschwand in ihrem Büro. Sie arbeitete bis spät abends. Wieder ging sie mir aus dem Weg, wieder hatte sie es eilig, wenn sie mich sah. Wieder überlegte ich, meinen Rucksack zu nehmen und abzufahren. Aber ich fuhr nicht ab. Ich wartete, bis sie von einer Führung über die Insel zurückkehrte, die sie mit einer Gruppe Biologiestudenten machte. Als sie die Museumstür abschloss, trat ich hinter sie und zog sie an mich, darauf gefasst, dass sie mich wegschieben würde. Sie blieb einen Moment starr, drehte den Schlüssel im Schloss und lehnte sich dann mit ihrem ganzen Gewicht gegen mich. Ich fragte sie, was los sei, und entgegen meiner Erwartung schien sie erleichtert, dass ich fragte. »Also gut«, murmelte sie. »Bevor wir hier noch Wurzeln schlagen …«
Sie war vom Vorsitzenden des Inselvereins ins Hotel
Varvsholm
gebeten worden. Dort hatte sie mit drei Männern in einem viel zu großen Konferenzraum gesessen. Durch die offenen Fenster drang das Klirren der Wanten an den Segelmasten im Hafen.
Bringen wir es schnell hinter uns,
sagte man ihr
. Schildern Sie uns einfach Ihre Sicht der Angelegenheit. Bisher müssen wir davon ausgehen, dass Sie einen Flecken der Insel dazu verwenden, Rauschpflanzen anzubauen, auf einer Fläche von mehr als einem Hektar, um genau zu sein.
»Was denn für Rauschpflanzen?«
»Genau! ›Was denn für Rauschpflanzen?‹ Das habe ich auch gesagt.
›Es wäre sinnvoll, wenn Sie uns darüber Auskunft geben würden‹, sagten die Herren vom Verein zu mir, und dauernd kam diese Frau und schenkte ungefragt Kaffee nach.«
Inez checkte ihr Funkgerät.
»Ja und?«
»Nichts und.« Inez steckte das Gerät in die Fronttasche ihrer Outdoorweste. »›Es wäre sinnvoll, wenn wir nicht erst ein paar Rauschgiftfahnder zu Ihnen rüberschicken müssten‹, sagten sie. Rauschgiftfahnder! Ich habe ihnen erklärt, dass ich keine Botanikerin bin, sondern mich mit der Anpassung der Trottellumme und der Tordalke an verschärfte Umweltbelastungen beschäftige. Das wissen die natürlich, die haben mich ja eingestellt! Also geben sie mir freundlich zu verstehen, dass wir nicht in einem Verhör sind, sondern beim Kaffeeplausch, und dass sie die Sache gern schnell und sauber vom Tisch haben würden. ›Überlegen Sie doch bitte, von welchen Rauschpflanzen in dieser
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